Subversiv die Welle reiten

REFLEXION Riesiger Vorschuss, ruckartige feministische Anwandlungen und immer schön von Sex und sich selbst erzählen: Die „Girls“-Erfinderin Lena Dunham hat ihr Debüt geschrieben. „Not That Kind of Girl“

„Ich bin eine junge Frau mit dem Interesse zu bekommen, was mir zusteht“

LENA DUNHAM

VON EVA BEHRENDT

Nach dem Abschluss des Kunst-Colleges arbeitete Lena Dunham für die Brutzeit von neun Monaten in einem „High End Kinderbekleidungsgeschäft“ in Tribeca. Wobei von Arbeit, wie sie in ihrem literarischen Debüt „Not That Kind of Girl“ beschreibt, trotz erfreulicher Bezahlung nur bedingt die Rede sein konnte: Außer dem Zusammenfalten einiger 65-Dollar-Babyleggings gab es bei „Peach and the Babke“ für Dunham und ihre Freundinnen Isabel und Joana wenig zu tun. Zeit genug, um zwischendurch zur Therapie zu gehen und sich die Abende und Nächte auf Ausstellungseröffnungen und Partys, mit Restaurantbesuchen und Fernsehsessions um die Ohren zu hauen.

In diesen hedonistischen Leerlauf platzte ein Gedanke: „Wieso erzählten wir nicht einfach unsere Geschichte, anstatt sie bloß zu leben? Die Geschichte von Kindern aus der Kunstszene, die versuchten (und daran scheiterten), den Erfolg ihrer Eltern nachzuahmen, die nicht wussten, wofür sie brannten, aber wussten, dass sie Ruhm wollten?“ Aus der Idee wurde eine Webserie, aus der Webserie 2010 der sensibel-komische Debütfilm „Tiny Furniture“, in dem neben Lena auch ihre Mutter Laurie Simmons und Schwester Grace mitspielten, und aus „Tiny Furniture“ schließlich die mittlerweile drei Staffeln starke, preisgekrönte HBO-Serie „Girls“, in der Dunham nicht nur für Koproduktion, Regie und Drehbuch verantwortlich zeichnet, sondern höchstpersönlich und übrigens großartig die Hauptfigur spielt.

Seither ist Lena Dunham ein Star, ein genius, wie die New Yorker Presse schwärmt – und der fleischgewordene Beweis dafür, dass die Künstlerin das Rolemodel der Mittelschicht ist. Denn sosehr sie aus ihrer Familie – Mutter Laurie Simmons ist Fotokünstlerin, Vater Carroll Dunham Maler, beide phasenweise intensiv beschäftigt mit Nacktheit und Geschlechtsorganen – und dem Brooklyner Bobo-Milieu schöpft, ihre Serie „Girls“ ist erstaunlich mainstreamtauglich und wurde zu Recht als eine Art Anti-„Sex and the City“ gefeiert: natürlicher, geistreicher und so gar nicht gefotoshopt. Insbesondere Dunhams Figur Hannah Horvath, eine tollpatschige Professorentochter und jobbende Schriftstellerin Anfang zwanzig, verstößt mit in zahlreichen Sexszenen liebevoll ausgeleuchtetem Bauchspeck, Doppelkinn und Cellulitis vehement gegen hollywoodeske Schönheitsideale.

Solche fürs Hochglanzfernsehen revolutionären Bilder werden zwar abgepuffert durch ihre normkonformeren Mitspielerinnen. Vollkommen logisch jedoch, dass nur die „Girls“-Erfinderin Lena Dunham so gegen die Körpernorm verstößt, als „normale“ Nur-Schauspielerin hätte sie es schwer damit. Als Künstlerin darf sich ihr Individualismus auch körperlich zum Äußersten und: äußerst Komischen steigern.

Verstöße gegen Normen

Wenn Hannah alias Lena Cup Cakes in der Badewanne futtert, sich Szenen aus ihren Lieblingskinderbüchern auf den Oberkörper tätowieren lässt oder Psychopharmaka schluckt, dann ist all das Ausdruck ihrer ideosynkratischen Nerdigkeit und Authentizität – und damit eine Ermutigung aller Beinahe-Künstlerinnen ihrer Generation, sich zu noch mehr Individualität hin zu emanzipieren.

Nun ist, von allerlei Trommelwirbeln begleitet und der surreal wirkenden Zahl eines 3,7-Millionen-Dollar-Vorschusses überglänzt, auch in Deutschland ihr literarisches Debüt „Not That Kind of Girl. Was ich im Leben so gelernt habe“ erschienen. Es handelt in logischer Konsequenz von Lena Dunham, genauer: von ihrem Verhältnis zu Liebe & Sex, Körper, Freundschaft, Arbeit und dem „großen Ganzen“, wie Dunham in Anlehnung an Helen Gurley Browns 80er-Jahre-Empowerment-Fibel „Having It All“ ihr Buch untergliedert. Anders als in ihren filmischen Arbeiten hat die 28-Jährige hier Gelegenheit, diese Selbstermächtigung zu kommentieren: „Ich finde nichts mutiger, als wenn jemand verkündet, dass seine Geschichte es wert ist, gehört zu werden, vor allem wenn dieser Jemand eine Frau ist“, schreibt sie gleich zu Anfang, und: „Ich muss es tun, um nicht wahnsinnig zu werden.“

Um es vorwegzunehmen: Reflexion ist nicht die Stärke der Buchautorin Dunham. Über die Verbindung von Kunst, Authentizität und die Tücken der weiblichen Selbstgestaltung erfährt man Gescheiteres etwa bei der Kanadierin Sheila Heti („How a Person Should Be“). Dunhams eher harmlose Textmischung aus Erinnerungen, essayistischen Anläufen und Listen (à la „17 Dinge, die ich von meinem Vater gelernt habe“) ist dagegen immer dann am besten, wenn sie auf den konkreten Punkt hinschreibt, an dem Situationen kippen. Wenn sie beim Sex plötzlich das vermeintlich zurzeit benutzte Kondom in der Zimmerpflanze sichtet, wenn sie gerade noch selig eine Boheme-Party in einem französischen Landhaus beschreibt und im nächsten Moment dort auf den Teppich kotzt, oder auch als sie dem Coming-out ihrer Schwester im Elternhaus schon mal vorgreift. Keine Frage, sie schont sich nicht, und auch die acht Seiten Diätprotokoll sind ein rührendes Dokument aufrechter Selbstentblößung – das natürlich in die Pointe einer Fressattacke mündet.

Momente des Scheiterns

Woher aber kommt ihre, wie die New York Times beobachtet hat, an den frühen Woody Allen erinnernde Lust, sich selbst in Momenten des Scheiterns zu zeigen, das von Neurosen und Ängsten geschüttelte Selbst immer wieder der Rosskur des öffentlichen Blicks auszusetzen? Woher rührt ihre behauptete Besessenheit vom Thema Tod? Die freundliche Narzisstin lässt sich nicht in die Karten blicken. Trotz langjähriger Therapieerfahrung – zu ihrer ersten Sitzung ging sie mit neun Jahren – konzentriert sie sich lieber auf Symptombeschreibungen oder vergleicht ihre Therapeutinnen. Andererseits: Ist eine analysierte Künstlerin überhaupt interessant?

Hin und wieder unternimmt Dunham ruckartig feministische Anläufe – vielleicht ja, um nach dem früh erfahrenen Ruhmesglück wieder etwas zurückzugeben. Wenn sie schreibt: „Ich bin eine junge Frau mit dem ausgeprägten Interesse zu bekommen, was mir zusteht“, klingt das allerdings eher nach „Having It All“ als nach den zart verpeilten, aufmerksamkeitshungrigen Anarchistinnen aus ihren Filmen. Selbst schmerzliche Erfahrungen mit einem sexuell übergriffigen Kommilitonen oder dem Sexismus vermeintlicher Förderer – „Lichträuber“ nennt sie die Männer, die von ihrer Jugend und Kreativität profitieren wollen – reihen sich geradezu unauffällig ein in den Reigen aus Sex-, Ferienlager- und College-Erinnerungen.

„Gedichte sind wie Träume“, sagt Schwester Grace als Nadine in „Tiny Furniture“, nachdem sie gerade einen Poetry-Preis gewonnen hat, „etwas, das jeder gerne anderen erzählt, obwohl sich keiner dafür interessiert, wenn es nicht die eigenen sind.“ Diese kluge Beobachtung trifft leider auch auf beträchtliche Strecken von „Not That Kind of Girl“ zu. So elegant Dunhams Filme die Brücke von der privaten Nabelschau zur kollektiven Anschlussfähigkeit schlagen, hier gelingt es ihr nur selten.

„Subversiv“ hat der Schriftsteller David Sedaris das Buch genannt. Das Subversivste daran ist womöglich die Tatsache, dass Lena Dunham die Welle, die seit ihrer Zeit bei „Peach an the Babke“ kontinuierlich rollt, einfach noch ein Stückchen weitergeritten ist.

Lena Dunham:„Not That Kind of Girl“. Aus dem Amerikanischen von Sophie Zeitz und Tobias Schnettler. Fischer, Frankfurt a. M. 2014, 304 Seiten, 19,99 Euro