Von Beeren und Büchern

HELSINKI Nokia und Suomenlinna, aber wenig über Putin in Finnlands Hauptstadt

Nachdenken, dann: Über Putin, über Putin würde man gerade nicht so lachen

Dinge, die ich noch nicht gesehen hätte, wenn Finnland nicht Gastland der Frankfurter Buchmesse geworden wäre: viele Regenbögen, haufenweise Beeren, noch in ihrem Rost bedrohliche Kanonen und eine der schönsten Buchhandlungen der Welt. So eine Stippvisite in Helsinki ist schon toll.

Irgendein Regenbogen war immer am Himmel. Regen und Sonne, das kann im Fünfminutentakt wechseln, oft gibt es eben auch beides gleichzeitig. Die Beeren gab es auf dem großen täglichen Markt zu sehen, der malerisch direkt am Wasser liegt. Ich bin an den Ständen erst vorbeigelaufen, auf dem Weg zur Anlegestelle, an dem man die Fähre nach Suomenlinna kriegt; auf dieser Festungsinsel vor dem Hafen, war mir gesagt worden, kann man etwas von Finnland verstehen. Dann habe ich aber doch erst mal an den Ständen haltgemacht.

Denn da waren sie: Berge von Blaubeeren, Himbeeren, Kenn-ich-nicht-Beeren. Auf deutschen Wochenmärkten gibt es sie natürlich auch, aber nicht so, nicht als gleichberechtigtes Angebot, nein, als sogar dominierendes Angebot neben Obst und Gemüse. Pilze genauso. Irgendwo erzählt die Beeren-Berge auch etwas von der Weite der Natur im dünn besiedelten Finnland. Und es kann einem plausibel vorkommen, dass die Finnen vielleicht etwas von einer Jäger-und-Sammler-Mentalität bewahrt haben.

Weiter. Die Kanonen von Suomenlinna waren dann tatsächlich beeindruckend. Es ist eine der größten Seefestungen überhaupt, Weltkulturerbe und ein malerisches Ziel für Tagesausflüge. Holzhäuser gibt es und Kopfsteinpflaster, Cafés und Liegewiesen. Suomenlinna ist ganz viel: Touristenattraktion und Freilichtmuseum, eine Demonstration des Zaubers von Schären-Inseln und eben wirklich ein Ort, an dem man in die finnische Geschichte eintauchen kann. Die Kanonen wurden nämlich von Russland aufgestellt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts, lange nachdem der Zar Helsinki eingenommen und die von Schweden gebaute Festung übernommen hatte, und sie sind gegen Westen gerichtet. Russland wurde schon bei Helsinki verteidigt. Im Krimkrieg haben dann auch mal französische und britische Schiffe Suomenlinna beschossen.

Am Tag zuvor hatte es ein Treffen mit finnischen Humoristen gegeben, und dann hat man eben gefragt, worüber Finnen denn eher nicht lachen würden. Nachdenken. Dann: Über Putin, über Putin würde man gerade nicht so lachen. Das habe ich endgültig verstanden, als ich diese Kanonen gesehen habe. Es muss kein Spaß gewesen sein, jahrhundertelang zwischen den Einflusszonen Russlands und Schwedens gelegen zu haben. Und Russland ist immer noch nah.

Die Buchhandlung schließlich heißt Akateeminen und liegt zentral in der Innenstadt. Entworfen wurde sie 1961 von dem großen Architekten Alvar Aalto und sie strahlt viel aus: großen Stolz und Lust darauf, Bücher zu kaufen und sie zu lesen. Man tritt in einen hellen, fensterlosen Raum, der sich über über mehrere Etage erstreckt, und fühlt sich gleich wie im Inneren einer von Bürgerbewusstsein sanft strahlenden Kathedrale.

Was sonst in Helsinki noch auffällt: Alle Finnen haben immer noch die neuesten Nokia-Handys, auch wenn die Firma längst verkauft ist, alle Moderatoren lesen ihre Fragen nicht von Notizzetteln, sondern vom iPad ab, aber gekauft werden Bücher immer noch als Printausgaben. Drei von vier Finnen kaufen mindestens ein Buch pro Jahr. Auf Suomenlinna kann man übrigens auch ganz prima lesen.

DIRK KNIPPHALS