Was echte wilde Kerle tun

Eigentlich müssten in Kindertagesstätten zur Hälfte Männer arbeiten, sagt der Erzieher Sascha Denzel. Doch weil man diese Mitarbeiter nicht „schnitzen“ kann, bietet er auch für Erzieherinnen Fortbildungen an, damit sie die Jungs besser verstehen

VON KAIJA KUTTER

Szene in einem Schulkinderhort. Der Zweitklässler Dennis* soll von den Großen, den Dritt- und Viertklässlern verprügelt werden. Anführer ist der zehnjährige Tom*. Ein Freund von Dennis läuft zur Erzieherin im Nebenraum und bittet sie um Hilfe. Die will nicht eingreifen und sagt: „Ich werde mit Tom auch nicht mehr fertig.“

Eine solche Kapitulation dürfte es natürlich gar nicht geben, sagt Sascha Denzel, konfrontiert mit dem Fall. „Wenn jemandem Gewalt angedroht wird, muss der Erzieher das unterbinden.“ Denzel ist selbst Erzieher, einer von etwa 15 Männern, die in den Kitas der Hamburger Arbeiterwohlfahrt arbeiten. Und er hat sich der Jungenarbeit verschrieben. „Jungs machen Druck“, sagt er. „Sie ,stören‘ und fordern die Kompetenzen der Fachkräfte heraus.“ Jungs stünden aber auch selbst unter dem Druck, eine männliche Identität zu entwickeln. Oftmals müssten sie dabei ganz ohne männliche Vorbilder in ihrer Umgebung auskommen. Auch in vielen Kitas fehlt es an männlichen Bezugspersonen.

Denzel arbeitet als einer von zwei männlichen Kollegen in der Johanna-Kirchner-Kita in Allermöhe. „Eigentlich müsste es zur Hälfte Männer und Frauen in diesem Beruf geben“, sagt er. Aber da man sich die männlichen Erzieher nicht „schnitzen“ könne, bietet er auch für die weiblichen Kollegen Fortbildungen für die Jungenarbeit an.

Die beginnt mit einer Reflektion des eigenen Jungs- und Mädchenbildes, die KollegInnen sollen das Wissen und Verständnis für Jungen vertiefen. Anhand von Fallbeispielen wird über die klassischen Konfliktsituationen gesprochen. Und schließlich geht es auch um ganz praktische Handlungsanweisungen. Man brauche für die Arbeit mit Jungen „keine neuen pädagogischen Methoden“, sagt der 38-Jährige. Man müsse nur die üblichen Methoden im Hinblick auf die geschlechtsspezifischen Bedürfnisse anwenden. Denzel hat zum Beispiel festgestellt, dass die meisten Verkleidungskisten in Kitas nur Kleider, aber kein männliches Zubehör enthalten.

Oder er verwendet gute Kinderbücher, die sich mit den typischen Jungskonflikten auseinandersetzen, wie etwa die schwedische Kinderbuchreihe Willi Wiberg von Gunilla Bergström. In „Bist du feige, Willi Wiberg?“ (Oetinger Verlag) wird etwa die Geschichte eines sechsjährigen Jungen erzählt, der sich nicht prügeln mag, aber trotzdem stark ist und es schließlich schafft, von den anderen Kindern akzeptiert zu werden. Denzel hat diese und andere Geschichten mit Jungs als Rollenspiel eingeübt und schließlich sogar als Hörspiel, das im Radio gesendet wurde.

„Man muss den Jungen die Aggression lassen“, sagt Denzel. Es gebe den Ansatz zu sagen, man müsse sie ihnen austreiben, damit sie nicht gewalttätig würden, aber das sei falsch. Denzel: „Wenn man ihnen diese Energie nicht nimmt und zulässt, dass sie Wut und Gefühle ausdrücken, werden sie nicht gewalttätig.“ Allerdings gelte es Regeln zu finden, dass keiner verletzt wird. Wenn Jungs zum Spaß einen Kampf machen, müssten Erzieher genau beobachten, was passiert.

Denzel hat eigens einen 10-Punkte-Plan zur Deeskalation von Gewaltsituationen entwickelt. Die Grenze von Spaßkampf zum Ernst sei manchmal fließend, sagt er. In dem Moment, wo die Kinder nicht mehr ansprechbar seien, wäre Zeit, sie auseinanderzubringen.

Aber nicht nur Schläge, auch Wörter könnten weh tun. Insbesondere, wenn Jungs in die Schule kämen, sei das eine Situation, die sie enorm verunsichere. „Sie fühlen sich klein und machen sich verbal größer.“ Mit Jungen, aber auch mit Mädchen, klärt Denzel ab, welche Schimpfworte erlaubt sind – und welche nicht, weil sie dem anderen zu sehr weh tun. Denzel: „Wenn sie sagen, du Blödmann, ist das Okay. Wir können den Jungen ja nicht ihre Sprache nehmen.“ Aussprüche wie „du Wichser“ seien aber nicht mehr in Ordnung.

Anschaulich dargestellt ist ein durch Schimpfwörter ausgelöster Streit in dem Bilderbuch „Du hast angefangen! Nein du!“ von David McKee (Verlag Sauerländer), das Denzel ebenfalls als Rollenspielvorlage nutzt. Inzwischen hat er aber auch eigene Geschichten entwickelt.

Auch Hierarchien und Unterdrückung in der Gruppe müsse man thematisieren. Denzel hat dazu das Projekt „Wer ist hier der Boss“ entwickelt, das auch die positiven Seiten von „Chef sein“ beleuchtet. Jungs orientierten sich an Medienbildern und wollten gern „Held“ sein. „Ich lasse ihnen das, wenn sie glauben, dass sie Held sein müssen“, erzählt Denzel. „Ich sage ihnen aber, dass ein Held auch mal Angst hat.“ Als ein Junge in die Hose pinkelte und dafür ausgelacht wurde, riet er ihm: „Ich fände es echt wild, wenn du den anderen sagst, dass dir das weh getan hat.“

* Name geändert

Denzel hält auch Vorträge auf Elternabenden und kann für Projekte mit Kindern gebucht werden. Infos unter ☎ 69 79 62 42 oder www.saschadenzel.de