Acht Jahre Haft für Nadines Vater

Der Ziehvater von Nadine aus Gifhorn wird wegen Misshandlung mit Todesfolge zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt. Ihre Mutter erhält ein Jahr auf Bewährung, weil sie dabei tatenlos zusah

AUS HILDESHEIM KAI SCHÖNEBERG

Am Tag der Urteilsverkündung kommt Susanne M. mit großen silbernen Ohrringen ins Landgericht, in deren Mitte das Wort „Angel“ prangt. Für einen „Engel“ hält Ulrich Pohl sie wahrlich nicht. Die 30-Jährige sei eine „notorische Lügnerin“, sagte der Vorsitzende der Hildesheimer Schwurgerichtskammer gestern bei der Urteilsbegründung. Susanne M. habe den Tod ihrer Tochter Nadine jahrelang verheimlicht. Auf Fragen habe sie geantwortet, die Kleine sei bei der Oma, im Krankenhaus, gar bei einer „Delfintherapie“. Dabei war sie tot. Susanne M. sei „eine durchaus liebevolle Mutter.“ Das hat Pohl in den vor Gericht gezeigten Familienvideos gesehen. Nur Nadine sei dort nie aufgetaucht, selbst wenn die anderen Kinder der Familie M. zu Weihnachten beschert worden seien. Nadine aus Gifhorn sei „ein Nichtkind“ gewesen, sagte Pohl.

Weil Susanne M. „tatenlos“ zugesehen habe, wie ihr Mann Daniel M. das im Oktober 2000 geborene Mädchen mehrfach quälte, verurteilte Pohl sie gestern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit. Die Ohrringe blieben ruhig, Susanne M. nahm das Urteil äußerlich völlig gelassen entgegen.

Auch ihr Mann Daniel M. zuckte nicht, als er erfuhr, dass der Richter ihm eine Gefängnisstrafe von acht Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge und schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen aufbürdete – und damit nur wenig unter den Forderungen des Staatsanwalts blieb. Sein Anwalt kündigte gestern an, in Revision zu gehen. Damit findet ein Fall ein vorläufiges Ende, der trotz Dutzender Zeugen und Gutachter rätselhaft bleibt.

Erst als Nadine sechs Jahre alt sein sollte, wurde bemerkt, dass sie nicht mehr da ist. „Es ist das Unbegreifliche dieses Prozesses“, sagte Pohl. Bei der Schuleingangsuntersuchung im Oktober 2006 war die Mutter nämlich mit „Nadine II“ erschienen, einer im November 2003 zur Welt gekommenen weiteren Tochter, die den Namen der Schwester trug. Die Eltern hatten sie nicht beim Standesamt gemeldet. Susanne M. behauptete, „Nadine“ sei wegen eines Gendefekts kleinwüchsig – und niemand merkte es zunächst. Erst als es den Eltern zu Hause zu „blümerant“ wurde, sagte Pohl, offenbarte sich Susanne M. einer Freundin. Diese Hauptbelastungszeugin sei „absolut glaubwürdig“, sie habe ja kein Motiv, die Verurteilten fälschlich zu belasten. Anders hingegen Daniel M.

Die „Gesamtheit“ der Indizien, betonte Pohl, spreche dafür, dass er Nadine in „gefühlloser und fremde Leiden missachtender Gesinnung“ mehrfach misshandelt habe – und das bereits, als sie wenige Monate alt war. M.s „Wut entstand aus den Demütigungen“, sagte der Richter, die ihm seine Frau durch ihre sexuellen Eskapaden zugefügt habe. Das „Kuckuckskind“ Nadine sei nach einem Disko-Besuch der Mutter entstanden. Damals habe Susanne M. zu ihrem Mann gesagt, Nadines leiblicher Vater sei „nicht so eine Flasche im Bett“ gewesen. „Das mag ihn aus der Bahn geworfen haben“, meinte Pohl über Daniel M. In der Folge habe der 32-Jährige „erhebliche Aggressionen“ gegen Nadine entwickelt. Wohl im Januar 2002 hätten die dauernden Misshandlungen zum Tod des Kindes geführt. Wie, ist weiter unklar. Anschließend habe Daniel M. Nadine „im Harz verscharrt“.

Eines der wichtigsten Indizien ist für den Richter ein Foto aus dem Dezember 2001: Es zeigt den geröteten Fuß Nadines. Während der Gutachter im Prozess nicht ausschließen konnte, dass die Hautveränderung von einem Ekzem stammt, ist sich Pohl sicher, dass der Verurteilte dem Kleinkind mit einer Herdplatte oder einem Bügeleisen Verbrennungen zugefügt habe.

„Eins ist sicher“, sagte Pohl. „Nadine ist tot. Insoweit vertraut die Kammer den Aussagen der Beschuldigten.“ Ansonsten zählte der Richter 30 Widersprüche in den Aussagen der M.s. Auch anderen Beobachtern bei früheren Prozessen ist Pohl schon durch seine „Kälte und Unsensibilität“ aufgefallen.