Lippenbekenntnisse auf dem Jahrmarkt

Meereskonferenz in Bremen löst den Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie nicht: Häfen fordern weniger Naturschutz, Umweltverbände sind enttäuscht

Nicht alle hören genau zu, wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) redet. Überraschend deutlich hatte sie von einem „schutzbedürftigen Eigenwert des Meeres“ gesprochen, als sie am Mittwochabend die internationale Konferenz über das Grünbuch Meere der EU-Kommission in Bremen eröffnete. Die Ozeane müssten zwar „intensiv“ genutzt werden, allerdings dürfe das nur „nachhaltig“ erfolgen.

Detthold Aden hat offenbar nicht zugehört. Denn der Chef des Bremer Hafenumschlagsunternehmens BLG mahnte auf der Konferenz unverblümt freie Fahrt für alle Schiffe an. Die Häfen und ihre Zufahrten sollten von Naturschutzrecht befreit werden, forderte er als Präsident des Zentralverbandes Deutscher Seehafenbetriebe. EU-Richtlinien dürften „den unabdingbaren Ausbau der Häfen nicht behindern“, für Umweltinteressen müssten „andere Lösungen“ gefunden werden.

Bei den Meeresschützern von der Aktionskonferenz Nordsee (AKN) machen die Hafenbetreiber sich mit solchen Forderungen keine Freunde: „Unverantwortlich“ nannte AKN-Sprecherin Nadja Ziebarth Adens Vorstoß. Ein „Freibrief für Ausbaumaßnahmen“ sei „indiskutabel“.

Das sehen auch der World Wide Fund for Nature (WWF) und Greenpeace so. Zudem seien Probleme wie Klimawandel und Überfischung weitgehend ausgeblendet worden. Die entscheidende Frage bleibe unbeantwortet, sagte die Greenpeace-Meereschefin Saskia Richartz: „Will die EU business as usual betreiben, oder hat sie den ernsthaften Willen zu einer neuen Politik?“ Richartz zumindest hat Zweifel an einer echten Wende.

Wie die deutsche Position zum Grünbuch Meere aussehen wird, deutete Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) an. „Die Balance der Interessen“ müsse gewahrt werden: „Nur Wirtschaft oder nur Umweltschutz geht nicht.“ In einer „Bremer Erklärung“ über die Tagung wurde diese These gestern Nachmittag bekräftigt. Wirtschaftswachstum und globale Wettbewerbsfähigkeit des Seeverkehrs müssen gestärkt werden, lauten die Kernsätze. Eingeräumt wird, dass der Schutz der Meere kein Luxus sei. Ihr „Erhalt als Ökosystem“ sei „Voraussetzung für ihre wirtschaftliche Nutzung“.

Richtig auf der Palme war der Meeresbiologe Stephan Lutter vom WWF. Die Tagung sei eher „ein Jahrmarkt der Plünderer“ gewesen als der Versuch, einen Rettungsplan auf den Weg zu bringen. Ernüchtert befand auch Ziebarth: „Das Grünbuch ist ein Wirtschaftskonzept – und Meeresschutz nur ein Lippenbekenntnis.“ SVEN-MICHAEL VEIT