Genadelt schläft sich’s gut

Mein Bett – meine Zuflucht. Von wegen. Jeder fünfte Deutsche quält sich Nacht für Nacht. Das nervt und ist ungesund. Zeit, besser zu schlummern – mit Akupunktur, Kräutern und ohne Fernseher

Zu wenig Schlaf macht dick, dumm und krank

VON JANET WEISHART

Erst drei Uhr. Ursula B. in Berlin-Zehlendorf blickt müde auf ihren Wecker. Schlafen, nur schlafen, hämmert es im Kopf der 61-Jährigen. Doch ihr Körper kämpft dagegen. Seit fünf Jahren, seit jenem Tag, als ihr Mann unerwartet starb. Da war es mit ihrer Nachtruhe vorbei, und eine typische „Schlaflosen-Karriere“ begann: Tabletten, Therapie, Depressionen. Bis heute kämpft sie mit jenen Folgen von Schlafmangel, die jetzt US-Studien bestätigen: Ursula nahm an Gewicht zu, ihre Konzentration stark ab.

Forscher erklären den Zusammenhang zwischen Zunehmen und Schlafstörung so: Im Schlaf unterdrückt der Körper die Produktion des appetitanregenden Hormons Ghrelin durch dessen Gegenspieler Leptin. Bei zu wenig Schlaf wird Ghrelin aktiv, und der Hunger ist da. US-Psychologieprofessor David F. Dinges bewies zudem, dass Menschen, die längere Zeit zu wenig schlafen, Defizite bei Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Reaktion haben. Sie lernen schlechter und überschätzen sich selbst. „Probleme am Arbeitsplatz sind oft die Folge. Mit Stress können Betroffene besonders schlecht umgehen“, bestätigt Ingo Fietze, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums der Charité Berlin. „Zu wenig Schlaf macht eben dick, dumm und krank“, pointiert Schlafforscher Jürgen Zulley vom Zentrum für Schlafmedizin der Universität Regensburg. Vor allem Herz-Kreislauf-Krankheiten und Magen-Darm-Probleme drohen.

Als erste Hilfe gegen Schlafprobleme verschreiben Mediziner oft Schlafmittel, deren zugesetzte Benzodiazepine (z. B. Valium) auf Dauer abhängig machen. Dabei setzen Studien aus Brasilien, den USA und Kanada längst verstärkt auf alternative Therapien wie Homöopathie und Akupunktur. Besonders mit der Nadelkur erzielten Wissenschaftler der Universität São Paulo erstaunliche Erfolge: Akupunktur linderte Schlafstörungen wie Schnarchen vollständig, eine Schlafapnoe – das Aussetzen der Atmung – sogar zu 80 Prozent. Die Universität Pittsburgh resümiert: „Akupunktur ist ‚die‘ effektive Therapie bei Schlafproblemen.“ Wie solch eine Behandlung aussehen kann, beschreibt die Berliner Heilpraktikerin Elisabeth Vos: „Zuerst befrage ich den Patienten ausgiebig. Kann er nicht ein- oder durchschlafen, was isst er oder wann wacht er auf?“ Das sei für die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) maßgebend.

„Wird jemand etwa zwischen 2 und 3 Uhr munter, ist dies die Zeit des Holzes. Jene Menschen stehen sehr unter Stress“, sagt Vos. Eine anschließende Diagnose von Zunge, Bauch und Puls gebe ihr Aufschluss über die Energiesituation des Menschen. Aus Sicht der chinesischen Medizin ist bei Schlafproblemen die Harmonie zwischen den Körper-Energien Yin und Yang gestört. „Mittels Akupunktur oder auch der Erwärmung von Akupunkturpunkten kann ich das Energie-Ungleichgewicht harmonisieren“, erklärt Vos. Als weitere Therapie rät sie Schlaflosen zur Anwendung von Kräutern, welche das Einschlafen unterstützen. Eine Tasse Tee aus Lavendel, Hopfen oder Passionsblumen habe sich bewährt. Ein zusätzliches Melissenbad beruhigt die Nerven. Die Wirkung von Heilkräutern macht sich auch die Homöopathie zunutze. „Passiflora D2“ gegen nervöse Schlafstörungen enthält zum Beispiel Passionsblume; „Pulsatella“ gegen Probleme beim Einschlafen das Kuhschellenkraut. Die Wirksamkeit solcher homöopathischer Wirkstoffe bei chronischen Schlafstörungen belegten Forscher der Charité in einer Studie mit knapp 500 Teilnehmern.

Ob Heilpraktiker, Schlafforscher oder Mediziner – in einem sind sich alle einig: Die Ursachen der Schlafstörung müssen erkannt und bekämpft werden. Schlafzentrums-Leiter Fietze appelliert: „Der Patient muss sein Schlafverhalten überdenken und ändern.“ Zu solchen Maßnahmen und Regeln für besseren Schlaf – Schlafhygiene genannt – gehören laut Deutscher Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin regelmäßige Schlafzeiten, ein ruhiges, dunkles Zimmer mit einer Temperatur von 14 bis 18 Grad und bequeme Schlafkleidung. Fietze rät außerdem zu „mäßig Alkohol und Nikotin sowie leichtem Essen am Abend“. Heilpraktikerin Vos erteilt Fernseher, Computer, Handy und Radiowecker Schlafzimmer-Verbot. Das Wichtigste sei jedoch, „seine Probleme vorm Bett zu lassen“. Dabei helfen könne ein Spaziergang vorm Schlummern oder folgende Entspannungsübung: Der Patient legt sich ins Bett. Er stellt sich vor, dass er goldgelbes Licht einatmet und es im ganzen Körper verteilt. „Beim Ausatmen denkt er, dass nun all seine Probleme durch die Zehen hinausströmen. Das beruhigt“, sagt Vos.

Schlafhygiene: www.charite.de/dgsm/dgsm. Am 15. und 16. Juni findet ein Patientenkongress zu Schlafstörungen statt: www.porstmann-kongresse.de/schlafkongress/index.php