Labour versinkt im Stimmenchaos

Bei Regionalwahlen in Schottland und Wales sowie Kommunalwahlen in England verliert Blairs regierende Labour-Partei deutlich. In England siegen die Konservativen, in den Regionalparlamenten sind die neuen Mehrheitsverhältnisse noch unklar

VON RALF SOTSCHECK

Die britische Labour Party hat zum ersten Mal seit mehr als einem halben Jahrhundert die Kontrolle über Schottland verloren. Das jedenfalls sagte gestern der Chef der Schottischen Nationalpartei (SNP), Alex Salmond, gestern Nachmittag. Das Endergebnis der Regionalwahlen vom Donnerstag stand jedoch bis Redaktionsschluss noch nicht fest, Labour und die SNP lieferten sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die stärkste Fraktion. Eine absolute Mehrheit wird keine der beiden Parteien erreichen. Nach Auswertung von 98 der 129 Sitze stand Labour bei 39 Mandaten, die SNP bei 35. Die Liberaldemokraten kamen auf 13, die Konservativen auf 10 Sitze. Die bisher stark vertretenen Kleinparteien wie Sozialisten und Grüne verschwanden fast vollständig aus dem Parlament.

Auch bei den Regionalwahlen in Wales verfehlte Labour die absolute Mehrheit, wurde jedoch stärkste Fraktion. Nach Auswertung von 56 der 60 Mandate kam Labour auf 26 Sitze, gefolgt von der nationalistischen Plaid Cymru mit 13 und den Konservativen mit 11 Mandaten.

Bei den Kommunalwahlen in England, die fast überall außerhalb von London stattfanden, schiffte Labour knapp an der erwarteten Katastrophe vorbei. Mit 27 Prozent kam die Regierungspartei knapp vor den Liberaldemokraten. Die Konservativen legten auf 41 Prozent zu, stärkten ihre Stellung aber vor allem im Süden Englands und verfehlten Durchbrüche im Norden. Für einen Wahlsieg bei den Parlamentswahlen 2009 reicht das vermutlich noch nicht aus.

Dass die Zitterpartie so lange dauert, liegt an den in Schottland erstmals eingeführten technischen Verbesserungen. Zum ersten Mal wurde ein elektronisches System zur Auszählung der Stimmen eingesetzt, sodass das Resultat wenige Stunden nach Schließung der Wahllokale feststehen sollte. Doch es funktionierte so schlecht, dass die Wahlleiter die Auszählung der Stimmen in vielen Wahlkreisen in der Nacht entnervt abbrachen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte SNP-Chef Salmond bereits seinen Wahlkreis Gordon im Nordosten des Landes deutlich gewonnen, obwohl seine Partei dort bei den letzten Wahlen nur den dritten Platz belegt hatte. Seine Stellvertreterin, Nicola Sturgeon, gewann in der traditionellen Labour-Hochburg Glasgow-Govan, und bei der Listenwahl setzte sich mit Bahir Ahmad zum ersten Mal ein Kandidat asiatischer Abstammung durch. Salmond sprach vom „Wind des Wandels“, der durch die schottische Politik wehe. Ob dieser Wind jedoch ausreicht, ihn zum schottischen Premier zu machen, ist nicht sicher, zumal der dafür benötigte Koalitionspartner, die Liberaldemokraten, nur dann mit der SNP ins Geschäft kommen, wenn diese auf das für 2010 anvisierte Referendum über die schottische Unabhängigkeit verzichtet.

Nur etwas mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten interessierte sich für „die wichtigsten Wahlen in der schottischen Geschichte“, wie Politiker aller Parteien versicherten. Die chaotischsten Wahlen waren es allemal.

Es wurden rund 100.000 ungültige Stimmen gezählt – fast 10 Prozent der abgegeben Stimmen, weit mehr als bei jeder anderen britischen Wahl. Entweder lag das an der Elektronik oder an der Tatsache, dass die Wahlen zum schottischen Regionalparlament gleichzeitig mit den Kommunalwahlen abgehalten wurden, und zwar mit unterschiedlichen Wahlsystemen: bei der Parlamentswahl eine Kombination aus Direkt- und Listenwahl wie in Deutschland, bei den Kommunalwahlen das System der Stimmübertragung, bei dem man die Kandidaten nach Präferenz nummeriert. Hier lag die SNP deutlich vorn, vor Labour und den Konservativen.

Ein persönliches Desaster war die Wahl für den britischen Finanzminister Gordon Brown, denn sein Wahlkreis Central Fife, für den er im Londoner Parlament sitzt, ging bei der Schottlandwahl an die SNP – keine guten Voraussetzungen für einen künftigen britischen Premierminister. Der derzeitige Amtsinhaber Tony Blair, der am Dienstag sein zehnjähriges Jubiläum beging, wird nächste Woche das Datum für seinen Rücktritt verkünden, Brown soll sein Nachfolger werden.