Autobauer im Reich der Mitte

THEATER Wie geht’s eigentlich den deutschen und chinesischen Mitarbeitern, die in den VW-Werken in China Dienst tun? Dieser Frage widmet sich das Stück „Volksrepublik Volkswagen“, das am Freitag in Hannover Premiere hat

VON JENS FISCHER

Dem Schreckgespenst Demokratiebewegung steht in China die Zaubermacht stetig steigender Kaufkraft gegenüber. Ein paradiesischer Nährboden, um den Kapitalismus in aller Pracht erblühen zu lassen. Und wer sich rechtzeitig bei der Aussaat eingebracht hat, wird besonders üppig ernten dürfen.

Wie die Wolfsburger Volkswagen-Macher. Als einer der ersten Großkonzerne brach VW in den fernen Osten auf und legte im postmaoistisch noch recht isolierten Land in den 1980er-Jahren die Basis für einen heute sehr einträglichen Absatzmarkt. Das Unternehmen befeuert nun den Boom, den eine ständig unbefriedigte Nachfrage ausgelöst hat. Und kann so durch zweistellige Wachstumsraten in China den schwächelnden Absatz in Europa mehr als kompensieren.

Klingt toll? Regisseur Stefan Kaegi entdeckt darin für seine jüngste Theaterkreation „Volksrepublik Volkswagen“ das Thema aller Rimini-Protokoll-Projekte, nämlich das Unbehangen und die Verlockungen, wenn Menschen die Wirtschaft über den Kopf steigt. Kaegi: „Vor 30 Jahren hatte einer von 1.000 Chinesen ein Auto, heute besitzt jeder zehnte eines. Und von zehn VWs werden in 2014 vier in China verkauft. Wovon wiederum Niedersachsen profitiert – als 20-prozentiger Anteilseigner des Konzerns.“

Dieser kündigt an, man wolle die globale Marktführerschaft von Toyota übernehmen. Bis 2018 die will VW die Zahl der Mitarbeiter in China auf 100.000 steigern, dort 18,2 Milliarden Euro investieren und vier Millionen Fahrzeuge pro Jahr produzieren.

Deutsche Modelle, die für den lokalen Markt modifiziert werden – mit Chromglitzer aufgehübscht und dem Bedürfnis nach reichlich Kofferraumvolumen entsprechend verlängert. Vor-Ort-Produktion ist günstiger, spart Zölle, schafft Kundenbindung, steigert den Gewinn daheim und schafft Vollzeitstellen auch für Deutsche.

Stehen einige dieser Mitarbeiter nun – wie bei Kaegis Inszenierungen sonst üblich – als „Experten des Alltags“ auf der Bühne, um aus dem Wirtschafts- ein Theaterthema zu machen? „Dieses Mal ist alles anders“, verrät Kaegi. Er hat mit Hannoveraner VW-Mitarbeitern in China gesprochen, auch deren Tagebücher, E-Mail-Dialoge, Briefe und so weiter gesammelt, um etwas darüber zu erfahren, was mit Menschen geschieht, die im Ausland arbeiten. „Interessant ist, wie rationale Ingenieure mit fast kolonialistischen Blicken China als etwas Exotisches begegnen und dann nach und nach immer asiatischer werden im Denken und Alltagshandeln.“

Natürlich ist durch ihre Beobachtungen auch etwas über die chinesische Gesellschaft zu erfahren. „Das System heißt ja immer noch Kommunismus, obwohl es die reine Lehre längst hinter sich gelassen hat.“ In dem sogenannten Arbeiterstaat finde VW deutlich arbeitnehmerfeindlichere Bedingungen vor als in Deutschland. „Der Staat ist Mitbesitzer der Fabriken, also auf der Unternehmerseite. Die Gewerkschaften richten mal einen bunten Abend für die Mitarbeiter aus und sollen ansonsten Produktionsbeeinträchtigungen wie beispielsweise Streiks verhindern.“

Wie geht VW damit um? „Genau das wollten wir herausfinden“, betont Kaegi, „wir sind nicht gegen, nicht für VW, wir schauen nur genau hin und reflektieren kritisch.“

Es gibt auch durchaus Positives zu entdecken. Beispielsweise habe VW im strukturschwachen Westen Chinas ein Werk gebaut, bessere Umweltstandards als dort bisher üblich um- sowie professionellere Berufsausbildung durchgesetzt und darauf bestanden, dass ethnische Minderheiten wie die Uiguren Arbeitsplätze bekommen.

Das sind für Sozialökonomen und Betriebswirte bestimmt spannende Aspekte – aber wie wird daraus nun Bühnenkunst? Die ästhetisch zentrale Idee sei das Kopieren, erklärt Kaegi. Das Land der Billigkopien werde auf die Welt der bedeutenden Bretter kopiert. „Wir machen Karaoke mit China.“

Das Bühnenbild ahme – als Billigkopie – eine VW-Fabrik nach. Eine Tänzerin versuche durch Zitieren chinesischer Bewegungskunst zu lernen, was Chinesen warum mit ihrem Körper so alles tun. „Unser Musiker Tomek Kolczynski spielt Guquin, eine chinesische Zither, beziehungsweise: Er entdeckt sie für sich in seiner Weise und inszeniert die Klangergebnisse zu einem elektronisch-maschinellen Soundtrack.“

Zudem hat Kaegi während seiner Recherchereisen viel gefilmt, vor allem Begegnungen mit Menschen in der chinesischen Provinz. Solche Szenen kopieren die Schauspieler nun, indem sie diese nachstellen, „um sie zu verstehen“.

Andererseits sind sie Moderatoren des Textmaterials der VW-Experten. Entspricht also die Vielfalt der genutzten Theatermittel der Komplexität des Themas? Jedenfalls scheint das immer atmosphärisch so hübsch poetisierte Dokumentartheater der Rimini-Protokollanten durch die Abwesenheit der Experten seinen Authentizitätsanspruch aufzugeben, um kunstwillig an Wahrhaftigkeit zu gewinnen. Um so – wie VW in China – eine Erfolgsgeschichte fortzusetzen.

„Volksrepublik Volkswagen“: Premiere am 10. Oktober, 19.30 Uhr, Schauspiel Hannover