Kurden protestieren

TÜRKEI Am Fall der Stadt Kobani droht der Waffenstillstand zwischen Ankara und der kurdischen PKK zu zerbrechen. Proteste in der Türkei und Europa

ISTANBUL taz | Erstmals seit zwei Jahren brannten in der Nacht von Montag auf Dienstag wieder Busse der Istanbuler Stadtverwaltung. Aus Protest gegen die Angriffe auf Kobani protestierten in der gesamten Türkei am Montagabend Tausende Kurden und etliche linke türkische Unterstützer gegen die Haltung der türkischen Regierung.

Die Proteste gingen auch am Dientag weiter. Im asiatischen Teil Istanbuls setzte die Polizei Tränengas und Wasserwerfer ein. Im osttürkischen Varto wurde ein Demonstrant von der Polizei erschossen, berichtete die Zeitung Radikal.

Am Montagnachmittag hatte die Parteiführung der kurdischen HDP dazu aufgerufen, weltweit für die Unterstützung der kurdischen Kämpfer zu demonstrieren. In sämtlichen Städten des kurdisch bewohnten Südostens der Türkei kam es daraufhin zu Protesten gegen die Regierung. Die Kurden warfen Präsident Tayyip Erdogan und seinem Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu vor, insgeheim die Islamisten vom „Islamischen Staat“ zu unterstützen und gleichzeitig die Verteidigung von Kobani zu erschweren.

Auch in zahlreichen europäischen Städten gingen am Montagabend Tausende auf die Straßen. In Deutschland kam es unter anderem in Berlin, Hamburg, Bremen, Hannover, Düsseldorf, Dortmund und Frankfurt am Main zu Protesten. In Bonn stürmten Kurden das Gebäude der „Deutschen Welle“. Im niederländischen Den Haag drangen Kurden in das Parlament ein, und in Brüssel besetzten sie zeitweise das Europaparlament.

Ende letzter Woche hatte Ministerpräsident Ahmet Davutoglu noch erklärt, die türkische Regierung werde alles dafür tun, dass Kobani nicht in die Hände des IS fällt. Tatsächlich sind die türkischen Panzer an der syrischen Grenze nahe Kobani stehen geblieben. Kein Schuss fiel von türkischer Seite auf die Angreifer, selbst dann nicht, als Mörsergranaten mehrfach in der Türkei einschlugen. Stattdessen hinderte das Militär PKK-Anhänger daran, die Grenze nach Syrien zu überschreiten.

Forderungen des HDP-Chefs Selahattin Demirtas, die Türkei solle die Kurden mit Waffen versorgen, damit sie sich besser verteidigen können, verhallten ohne Reaktion. Tatsächlich ist es schwer vorstellbar, dass das türkische Militär nach 30 Jahren Bürgerkrieg mit der PKK trotz des seit nunmehr eineinhalb Jahren geltenden Waffenstillstands nun PKK-Sympathisanten mit Waffen versorgt.

Dadurch gerät nun aber genau dieser Waffenstillstand in Gefahr. Führende PKK-Politiker drohten mit dem Ende der Waffenruhe. Am Montag ließ der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan über seinen Bruder mitteilen, wenn die Türkei den Kurden in Nordsyrien nicht zu Hilfe eile, sei der Friedensprozess am Ende. JÜRGEN GOTTSCHLICH