ortstermin: mondän demonstrieren mit Malewitsch
: Als wir das schwarze Quadrat belebten

In der Reihe „Ortstermin“ besuchen Autoren der taz nord ausgewählte Schauplätze am Rande des Nachrichtenstroms

Schwarz oder Weiß – am nahen Ende einer Reihe beispiellos schöner Tage erübrigt sich diese Frage vor dem Kleiderschrank von selbst: Natürlich greift man zum hellsten Leinen und beinahe hätte man sich noch einen Strohhut aufgesetzt. Aber an diesem Sonnentag wird das Weiß vom Schwarz in den Schatten gestellt. Denn neun Zehntel der rund 300 Kunstliebhaber, die sich vor der Kunsthalle versammelt haben, wollen um jeden Preis das schwarze Quadrat sein, nicht bloß dessen weißer Rahmen.

Hubertus Gaßner, Direktor der Hamburger Kunsthalle, erklärt durch ein schrilles Mikrophon noch einmal worum es in der Aktion „Public Square“ des Künstlers Mischa Kuball geht: Die Versammelten würden gleich Bestandteil eines temporären Kunstwerks. Schon Malewitsch habe das schwarze Quadrat nicht statisch verstanden, sondern als Kraft- und Energiefeld. Nur folgerichtig sei da die Idee von Kuball, das Bild mit menschlichen Körpern in Bewegung zu setzen: nicht nur als Hommage an Malewitsch, sondern auch als politische Demonstration; als Demonstration für mehr Kunst im städtischen Raum und gegen dessen Kommerzialisierung, wie im Anschluss der Künstler, im Tennislehrerdress, präzisiert. Ein schönes Spruchband, das wir gleich vor uns hertragen würden, war da schon entrollt: „Jede Geste in der Stadt ist politisch“.

Wir formieren uns sehr schnell: die schwarz Gekleideten treten in die Mitte, die in Weiß halten sich am Rand. So bildet sich ein mächtiger, schwarzer Block, mit einer geschlossenen weißen Front. Von einem Polizeimannschaftswagen geleitet, gehen wir den Glockengießerwall hinunter, vorbei am schwarzen Kaaba-Kubus von Gregor Schneider, vor dem sich gerade eine Gruppe junger scherzender Muslime in farbenfrohen Gewändern fotografieren lässt.

An der Alster geht es nach links, wir haben mit unserem Qudrat ein schwieriges Abbiegemanöver vor uns. Leicht zerfleddert finden wir uns danach auf dem Ballindamm wieder. Und hier, um uns das Blau des Wassers, leicht beschattet von zartem Grün, tut sich etwas: Wir fallen in den leicht beschwingten Schritt von Flaneuren. Nun gemahnen wir plötzlich nicht mehr an die das strenge Werk Malewitschs, sondern an die gehobene hanseatische Gesellschaft auf den Bildern von Max Liebermann.

Keine Frage, wir sind gut angezogen, Gaßner vorneweg mit einem eleganten Leinensakko, dahinter enge Röcke, modische Sonnenbrillen, weiße Lacklederschuhe. Es stimmt, wir werten den städtischen Raum ästhetisch auf: nicht nur als einmaliges Kunstwerk, sondern auch als der einmalige Fall einer mondänen Demonstration. Deshalb drängt sich die Frage auf: Wer wäre gekommen, um gegen die Kommerzialisierung des städtischen Raums zu demonstrieren, wenn Malewitsch ein grünes Quadrat auf orangenem Grund gemalt hätte?

Auf der Mönckebergstraße wird unser Mangel an Disziplin unübersehbar. Wir haben uns gestreckt und sind nun ein Rechteck. Würde uns nicht die Polizei von hinten antreiben – wir wären wohl schon längst zu einer Geraden ausgelaufen. Wir bestätigen damit aber nur die dynamische Form des schwarzen Quadrats. Das schwarze Quadrat, c’est moi! MAXIMILIAN PROBST