„Schnösel sind nicht schlecht drauf“

Peter „Otto“ Gutmann

„Wir versuchen, den Kapitalismus sozial zu machen. Als wir 2006 wegen Sanierung drei Monate schließen mussten, war das ein Problem. Was machen wir mit den 70 Beschäftigten? Wie organisieren wir das halbwegs verträglich?“ „Viele Leute, die hierhergekommen sind, versuchen, ihre Interessen durchzudrücken. Einige, die sich über dem Sowohl als auch eine Wohnung gekauft haben, stören sich plötzlich an Geräuschen, die mit Kneipen verbunden sind“

Zu DDR-Zeiten war Peter Gutmann bei der Volkspolizei. Doch dann kamen die Wende und die Zeit der Hausbesetzer. Otto, wie ihn in Prenzlauer Berg alle nennen, wechselte die Seiten, zog in ein Selbsthilfehaus in der Oderberger Straße und gründete dort das Szene-Café „Entweder oder“. Aus dem Ordnungshüter wurde ein Kneipier. Vor knapp zehn Jahren expandierte er mit dem Kaffeehaus „Sowohl als auch“ an der Kollwitzstraße. Was ist geblieben vom einstigen Revolutionär? Was vom alten Prenzlauer Berg? Waren die Heizpilze, die Gutmanns Kaffeehaus in dem Kiez als Erster aufstellte, unvermeidlich?

INTERVIEW UWE RADA

taz: Herr Gutmann, sind Sie mit 50 nicht schon zu alt für den Prenzlauer Berg?

Peter „Otto“ Gutmann: Wenn man das allgemeine Umfeld betrachtet, vielleicht nicht. Was die Lebensansprüche betrifft – doch, dann bin ich schon zu alt.

Wie hoch ist das Durchschnittsalter Ihrer Gäste im Café Sowohl als auch?

Zwischen 30 und 40, würde ich sagen.

Damit gehört es schon zu den Cafés mit etwas etablierterem Publikum.

Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Wenn man so viel im eigenen Laden zu tun hat, ist man froh, abends zu Hause zu sein. Ich kenne die anderen Läden kaum.

Sie haben nach der Wende mit dem Café Entweder oder in der Oderberger Straße angefangen. Was war das für eine Zeit im Prenzlauer Berg?

Goldgräberzeit. Die hat den Prenzlauer Berg sehr schnell erfasst. Es war eine Zeit, in der vieles ohne viel Aufwand möglich war. Für viele, auch für mich, war das ein Neubeginn.

Sie waren zuvor bei der Volkspolizei?

Ja. Nach der Wende hatte ich auch die Möglichkeit, weiter bei der Polizei zu arbeiten. Aber … naja.

Naja?

Das ging nicht ganz zusammen mit meinen Überzeugungen.

Sie sind in ein Selbsthilfehaus gezogen und haben viel mit Besetzern zu tun gehabt, die Sie sonst womöglich hätten räumen müssen.

Macht ausübendes Organ des Staates war ich vor der Wende gerne, aber nach der Wende hätte ich damit meine Probleme gehabt.

Stattdessen haben Sie eine Kneipe aufgemacht und sind Unternehmer geworden.

Man tut, was man kann. Aber der Ort hat auch seine Geschichte. Zu DDR-Zeiten traf sich hier der Wohnbezirksausschuss, dann ist es ein Treffpunkt der Bürgerbewegten geworden. Es gab Veranstaltungen, Rentnercafés, Mieterberatung. Da gab es noch nicht den Gedanken, eine kommerzielle Kneipe zu machen. Das kleine Bier kostete 1 Mark, das große 2. Der Treffpunkt war wichtiger als das Geld.

Die Oderberger Straße wie auch die Kollwitzstraße haben ihr Gesicht seitdem komplett geändert. Ist auch etwas geblieben aus diesen Zeiten?

Die Leute, die man auch nach 20 Jahren noch trifft – auch noch im Entweder oder. Aber es sind weniger geworden, das sieht man schon an den Autos, die vor den Häusern stehen.

Gibt es keinen mehr, der die alten Geschichten erzählt? Oder sind mit den Leuten auch deren Geschichten verschwunden?

Die neuen Bewohner wissen von den alten Geschichten nichts. Sie wollen es auch nicht wissen, das ist so

Haben Sie es sich damals träumen lassen, dass sich alles so rasant verändern würde?

Die Hoffnung starb zuletzt. Wir hatten ja auch keine Erfahrung, wie sich eine Stadt unter kapitalistischen Gesichtspunkten entwickelt. Heute wissen wir es besser. Man muss aber auch sagen, dass da an vielen Stellen eine neue Lebensqualität entstanden ist.

Mit der Gründung des Sowohl als auch waren Sie Bestandteil dieser Entwicklung. Kein schlechtes Gewissen?

Das ist fast schon ein philosophisches Thema: Was war zuerst da: das Huhn oder das Ei? Haben wir das Sowohl als auch 1998 aufgemacht, weil die Klientel schon vorhanden war? Oder haben wir es mit dem Café erst angezogen?

Ihre Antwort?

Sowohl als auch. Aber im Ernst: Natürlich kaufen sich die Leute hier Eigentumswohnungen, weil es die Infrastruktur gibt. Den Kollwitzplatz, den Markt, die Einrichtungen für die Kinder. Die Gastronomie. Die Geschäfte. Da nehmen sie auch die leidige Parkplatzsuche in Kauf. Nein, ich würde nicht sagen: Ich habe ein Kaffehaus mit Konditorei eröffnet, um hier gutbetuchte Leute herzuziehen. Das ist ein Geben und Nehmen …

zu dem auch ein Feinkostladen gehört, den Sie vor kurzem eröffnet haben. War die Zeit reif?

Das war ganz anders: Der Laden stand zur Miete. Da haben wir uns gesagt: Bevor hier die Konkurrenz reinkommt – es ist immerhin die Sonnenseite –, mieten wir selbst. Ein Feinkostladen bot sich an, weil wir ohnehin die Sachen in großem Maße kaufen müssen. Das ist also eher ein Nebengeschäft.

Klingt nach fortgeschrittenem ökonomischem Denken und unternehmerischem Handeln. Was ist Otto Gutmann denn nun: ein ehemaliger Kiezaktivist, der zum netten Kapitalisten wurde und die Kollwitzstraße nun mit gehobener Gastronomie beglückt?

Wir versuchen, den Kapitalismus sozial zu machen, wenn das geht. Wir haben jetzt rund 70 Beschäftigte, da haben wir auch eine soziale Verantwortung. Als Anfang des vergangenen Jahres das Haus, in dem das Sowohl als auch ist, saniert wurde und wir drei Monate schließen mussten, war das ein Problem. Was machen wir mit den Leuten? Wie organisieren wir das halbwegs verträglich?

Was haben Sie gemacht?

Wir haben den meisten gekündigt und gleichzeitig eine Rückkehrgarantie gegeben. Da hat dann auch das Arbeitsamt mitgespielt. Sonst hätten wir so viel Leuten auf einmal gar nicht kündigen können. Der Feinkostladen hat übrigens auch wieder ein paar Arbeitsplätze geschaffen.

Worin unterscheiden sich die Arbeitsbedingungen im Sowohl als auch von denen in anderen Restaurants oder Cafés?

Da müssen Sie das Personal fragen. Ich kann nur sagen, dass die Fluktuation bei uns sehr gering ist.

Alles all right in Prenzlauer Berg? Wir haben den netten Unternehmer, zufriedene Beschäftigte und eine tolle Kundschaft, die mit dem BMW vorfährt und das gastronomische Angebot zu schätzen weiß.

Das ist eine unzulässige Verallgemeinerung.

Was?

Dass unser Publikum mit dem BMW vorfährt. Unser Publikum kommt auch mit dem Fahrrad, weil es mit dem BMW gar keinen Parkplatz kriegen würde.

Noch nie Schnöselalarm gehabt im Sowohl als auch?

Natürlich gibt es auch ein arrogantes Gästeverhalten. Die wirklichen Schnösel, die aus anderen Teilen der Stadt oder sonst woher kommen und auf Abenteuer im Prenzlauer Berg sind, die finden das eh alles ganz spaßig. Die sind nicht schlecht drauf. Und wenn sich einer trotzdem schnöselig benimmt, muss man die halbe Stunde halt mal durchstehen. Falls sich dann noch einer beschweren will: Ich stehe hinter meinen Mädels.

Der Prenzlauer Berg hat es zu Weltruhm gebracht, weil der damalige US-Präsident Bill Clinton im Restaurant Gugelhof essen war, nur wenige hundert Meter entfernt vom Sowohl als auch. Hand aufs Herz: Ein bisschen neidisch waren Sie schon, oder?

Jein. Warum war Clinton im Gugelhof? Weil die eine ausgesprochen hohe Qualität haben? Oder weil es da von der Sicherheit besser war? Als alter Polizist weiß ich, wie das läuft: Da kommen die Sicherheitsleute und checken das ab. Im Gugelhof haben wohl die Hochparterre-Fenster den Ausschlag gegeben. Da sieht man von außen einfach nicht, dass da drin Bill Clinton sitzt.

Alle Welt redet vom Klimawandel. Sie waren einer der Ersten, der Heizpilze vor die Tür gestellt hat. Später gab es sogar eine Plane drum herum, sodass man auch im Winter Sommer spielen konnte. Was ist das: gastronomische Innovation? Geschäftstüchtigkeit? Umweltsauerei?

Wir waren nicht die, die die Heizpilze erfunden haben. Aber es stimmt: Wir waren diejenigen, die im Prenzlauer Berg damit angefangen haben. Damals war der Bedarf da. Wir haben es ausprobiert, die Leute haben draußen gesessen. So ist das halt. In Paris haben sie fest installierte Heizschirme. Deshalb sollten auch die Behörden hier die Gastronomen nicht gängeln.

Was heißt gängeln: Plastikplanen um die Außenfläche, das ist Okkupierung öffentlichen Raums.

Das soll ja auch kein fester Bau werden. Aber als mobiler Bau, warum nicht? Wenn da eine Plexiglasscheibe drum rum ist, rauscht viel weniger Energie durch die Heizpilze als ohne Plane. Wenn ich die Fenster zum Gastraum öffne, kann ich die Heizpilze sogar ausschalten, und die erwärmte Luft muss man sowieso ständig wechseln.

Ihre Alternative lautet also: Klimaschutz oder öffentlicher Raum?

Ich bin der Letzte, der den Gastraum dauerhaft nach außen vergrößern will. Nur wenn im Winter, an schönen Wochenenden, der Bedarf da ist?

Gab es Gäste, die sich über die Heizpilze beschwert haben?

Eher darüber, warum sie noch nicht an sind.

Nach 17 Jahren Nachwendezeit im Prenzlauer Berg haben Sie dem Stadtteil nun den Rücken gekehrt. Hat auch das mit dem Alter zu tun?

Ich wohne nach wie vor in Pankow. Aber es stimmt, ich bin in Richtung Malchow gezogen. Wir haben dort in einer Kleingartenkolonie ein Haus gebaut.

Kein Heimweh?

Nicht nach der Parkplatzsuche. Auch nicht danach, dass sich im Prenzlauer Berg doch auch vieles zum Schlechten verändert hat. Viele Leute, die hierhergekommen sind, versuchen, ihre Interessen durchzudrücken. Das haben wir selbst auch zu spüren bekommen.

Inwiefern?

Leute, die sich über dem Sowohl als auch eine Wohnung gekauft haben, stören sich plötzlich an Geräuschen, die mit Gastronomie verbunden sind. Dabei haben sie durchaus gewusst, warum sie dorthin gezogen sind.

Die „kapitalistische Revolution“ frisst ihre Kinder.

In Malchow ist es schön grün. Außerdem bin ich vor einiger Zeit noch mal Vater geworden, und da draußen ist es besser für das Kind.

Noch was?

Naja, es stimmt schon. Man muss sich dem ganzen „Jugendwahn“ auch nicht mehr aussetzen.