Anrennen gegen ein brutales Image

Rugby gilt als schmerzvoller Sport. Doch stimmt das? Nein, sagen die Jugendlichen des SV 92. Das Spiel ist hart, aber fair, erklärt ihr Trainer Günter Schlosser. Und ein Trainingsbesuch beweist: Für tumbe Kraftpakete ist diese Sportart wirklich nichts

VON AMBROS WAIBEL

Die Forckenbeckstraße in Schmargendorf verläuft fast schon westdeutsch-idyllisch zwischen Fitnessstudios und Kleingartenkolonien mit Namen wie Blaupunkt oder Oeynhausen. Dabei ist sie eine Magistrale der Bewegung: Den entlangschlendernden Fußgänger überholt ein Strom von gewichtigen Joggern, feschen Mountainbikerinnen und nordisch marschierenden Senioren, die zum Sport-Gesundheitspark streben. Dort, auf dem senatseigenen Gelände Forckenbeckstraße 21, tummeln sich dann alle miteinander – was dem Rasen nicht guttue, klagt ausgerechnet Rugby-Urgestein und Manager Günter „East“ Schlosser vom Berliner SV 92. Seine Mannschaften trainieren hier.

Wenn sich überhaupt jemand beim Rugby verletze, dann wegen der Platzverhältnisse, grantelt der kräftige Mann im kurzen Sportdress mit Blick auf die übende Männermannschaft. Schlosser ist eine Mischung aus Wilmersdorfer Charme und soigniertem britischem Kolonialoffizier. Dass „seine Jungs“ zupacken können, ist schnell klar. Ein freundlich lächelnder Rugby-Riese drückt erst Schlosser und dann dem Reporter die Hand – und nun funktioniert sie nicht mehr richtig. Gehört er etwa auch schon zu der verweichlichten Generation, deren Knochenbau sich nach Auskunft des Orthopäden von „East“ geändert hat? Oder ist ihm da eine durchaus angelsächsische Ironie Schlossers entgangen?

„Härte soll sein“, wird der Trainer konkret. Die Regeln dafür seien aber ganz klar und fair. „Am wichtigsten ist, dass man sich nach dem Spiel die Hand gibt.“ Insofern sei Rugby eigentlich der ideale Sport für eine aggressionsgeladene, aber bewegungsarme Generation, ein Vertrauensspiel, in dem es auf den „good support“ der Mitspieler ankomme. Kurz: etwas für gestandene Gentlemen, wie „East“ einer ist (und selbstverständlich auch für ebensolche Ladys).

Umso bedauerlicher, sagt der gelernte Erzieher und Jugendtrainer Tom Klockner, dass sich die von ihm angesprochenen Schulen in Wilmersdorf zögerlich zeigten. Klockner, ein gutaussehender Enddreißiger mit deutsch-englischem Hintergrund, hat mit Direktoren und Sportlehrern gesprochen, Schnupperkurse und Probetraining vor Ort angeboten – bisher allerdings nur mit geringer Resonanz.

Sport mit Tradition

Dabei hat die Kinder- und Jugendarbeit bei der Rugbyabteilung des BSV 92 Tradition. In den 70er- und 80er-Jahren wurde man mit den C-Schülern sogar mehrfach deutscher Meister. Dann kam die Wiedervereinigung, die Alliierten zogen ab, und damit war die nach 1945 wichtigste Nachwuchsquelle des Rugby im Westteil der Stadt versiegt. An diese Tradition in einem wieder international werdenden Berlin anzuknüpfen haben sich Schlosser und Klockner vorgenommen.

Die U15-Mannschaft, die sich schließlich doch zusammengefunden hat, besteht aus teils schmächtigen, teils kräftigen Jungs von zumeist englischsprachigen Schulen. Sie haben verdammt viel Spaß. Klockner hält ein die Verteidigung simulierendes Schaumstoffschild – ein sogenanntes Tackle Pad – in der Hand. Ein erster Spieler rennt mit dem unerwartet leichten Lederei (rund 400 Gramm) unterm Arm gegen das Pad, lässt sich fallen, legt den Ball ab und schützt mit den Armen sein Gesicht. Ein zweiter springt über ihn drüber und drängt die Verteidigung weiter nach hinten, ein dritter schnappt sich den Ball, läuft durch oder gibt einen Pass – und zwar immer nur nach hinten. Denn beim Rugby soll nicht der Ball den Raum bis zum punktebringenden „Malfeld“ überwinden, sondern der Spieler.

Das bringt gehörig Dynamik in jede Partie. Anschließend wird der Angriff nochmal geübt, diesmal ohne Pad. Die Jungs werfen sich gegen Klockner, der sie mit beiden Armen unterhalb der Schulterlinie „tiefhält“ – die einzig erlaubte Abwehrtechnik. „Es wird vielleicht ein bisschen wehtun“, sagt der Coach lächelnd, „aber es ist eben ein Kontaktsport.“ Zahnschutz ist obligatorisch und wird gestellt.

Neureicher Konkurrent

Überhaupt ist Rugbyspielen eine preiswerte Sache, gerade wenn man bedenkt, dass eine Ausrüstung für den ungeliebten und neureichen Konkurrenten American Football mehrere hundert Euro kostet. Trikot, Hose und Stutzen gibt es günstig beim BSV 92, dazu ein paar Fußballschuhe, und schon kann es losgehen.

Für tumbe Kraftpakete ist Rugby allerdings nichts. Immer wieder unterbricht Klockner die Übungen, erklärt auf Deutsch und Englisch Spielzüge und Taktik, von der „Schere“ bis zum „Gedränge“. Mit einem Spielchen drei gegen drei endet das Training. Auf die Frage, was es denn nun auf sich habe mit der angeblichen Brutalität des Rugby, antwortet Marc stellvertretend für seine Kumpel: „Das Schlimmste, was mir jemals beim Rugby passiert ist, war, dass ein Hund mich gebissen hat, als ich den Ball aufheben wollte.“ Und das kann den Freizeitsportlern auf der idyllischen Forckenbeckstraße weiß Gott auch passieren.

Training für Männer, männliche Jugend und Frauen Dienstag und Donnerstag 18–20 Uhr, Forckenbeckstr. 21 www.bsv92-rugby-berlin.de