Tausend Probleme tief

Diese Euphorie ist erstaunlich: Die Musik von Bloc Party kickt nicht, sondern gibt sich kompliziert, mitunter gar deprimierend. Aber dennoch finden sich tausend Fans in der Columbiahalle ein und können alle Texte von vorne bis hinten mitsingen

VON RENÉ HAMANN

Ein grünes Leuchten ging von der Bühne aus. Drei Tiere prügelten modernen Rock herunter. Biffy Clyro hießen die Jungs, kommen aus Glasgow und waren eine gute Vorband. Eine gute Vorband, die fast besser war als der Haupt-Act.

Die Columbiahalle am Freitagabend: ausverkauft. Drängelnde Menschenmengen mit freudig erwartenden Gesichtern überall. Junge Menschen mit glänzenden Augen. Das Licht wurde schwarz, eine Konserven-Basstrommel hämmerte einen stumpfen Beat in die Menge. Das Licht wurde rot, dann weiß, Bloc Party betraten die Bühne. Die nächste halbe Stunde lässt sich wie folgt zusammenfassen: wummernder Bass, kreissägende Gitarren, stumpfes Schlagzeug. Sänger Kele Okereke bleckte die Zähne und machte melodramatische Gesten (die Gitarre auf den Rücken schieben zum Beispiel). Das Publikum: ekstatisch. Zahnärztinnen präsentierten ihre Achselhöhlen, junge Vermessungsingenieure bejubelten ein erwartetes Lieblingsstück wie ein entscheidendes Fußballtor, mit einem großen „Jawohl!“-Schrei mit gestrecktem Arm und Zeigefinger. Wippende Körper auf dem Oberrang (sollte man mal tonlos filmen und mit der Kriegssinfonie von Schostakowitsch unterlegen). Ein Meer aus Händen.

Und ansonsten viel elektronischer Schnickschnack: von den Gitarren- über die Lichteffekte und den gelegentlichen Beats aus der Dose. „Bloc Party sind elektrisch und sexy“, kann man als Fan dazu sagen, und tausend Fans können wohl nicht irren. Andererseits wird man im Laufe des Konzerts, irgendwelche Songs ziehen vorbei, den Verdacht nicht los, auf einem Fans-only-Event zu sein. Durch die Menge geistert nicht, sondern tobt die Begeisterung. Alle sind enorm textfest und singen vor allem die frühen Stücke (erstes Album: „Bloc Party“, 2004) komplett mit. Die Euphorie ist mehr als erstaunlich: Denn die Musik kickt nicht, sondern gibt sich gern kompliziert und poparm, mitunter deprimiert. Die Texte behandeln gesellschaftliche Probleme im Großen wie im Kleinen (dann als Beziehungs- und Ausgehtexte). Der leicht selbstherrliche Okereke croont und jammert in merkwürdig hohen Lagen bis zur Unerträglichkeit, und das auch nicht besonders variabel; und einen alles klar machenden Hit haben Bloc Party mit Ausnahme von „Banquet“ auch nicht. Woher also die allgemeine Begeisterung?

Vor mittlerweile zweieinhalb Jahren, damals, als Bloc Party im Vorprogramm von Interpol im SO 36 spielten, konnte man noch Hoffnung in das Quartett setzen. Zwar hatte man dasselbe Konzept auch schon mal besser gesehen und gehört (die leider weithin unbeachtet gebliebene Band Long Fin Killie), aber die Mischung aus Robert-Smith-Gesang, politischen Texten, treibend-tanzbarer Rhythmik und schneidenden Gang-of-four-Gitarren schien das veritable Rezept der Stunde zu sein. Mittlerweile hat sich die Band aus London mit dem neuen Album „A Weekend in the City“ einen breiteren, eben auch breiigeren Sound zugelegt. Die Gitarren füllen problemlos jede Halle. Schlagzeuger Matt Tong ist nach Berlin gezogen, mit „Kreuzberg“ haben Bloc Party ihren Songbeitrag zum internationalen Berlin-Hype beigetragen. Die neue Single „The Prayer“ ist okay geraten und rotiert fleißig durch die Kanäle, mehr aber auch nicht. Musikalisch ist da nicht viel zu holen, die bösen U2-Vergleiche kommen nicht von ungefähr.

Vielleicht liegt das Geheimnis ihres Erfolgs wirklich in den Texten, diesem Mix aus urbaner Einsamkeit, dem Wahnsinn der Globalisierung, der Liebe in den Morgenstunden nach durchrauschter Nacht oder dem persönlichen Eskapismus inklusive Selbstzweifel. So sieht wohl das Leben aus, und heutzutage ist wohl jeder Zustand tanzbar.