die taz vor fünf jahren zu einem spektakulären wahljahr in frankreich
:

Die vier Urnengänge der vergangenen zwei Monate waren die aufregendsten, die Frankreich je erlebt hat. Sie haben Gewissheiten umgestürzt. Sie haben gezeigt, dass zwischen den Technokraten an der Spitze der Macht und dem Volk ein tiefer Graben liegt. Und sie haben die Glaubwürdigkeit der Politik mächtig erschüttert.

Die Chronik der Superlative und Paradoxa begann mit dem ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen, bei dem sich die vermeintlichen Favoriten schallende Ohrfeigen holten. Der Sozialdemokrat Jospin schied ganz aus. Der Neogaullist Chirac erzielte das schlechteste Ergebnis eines Präsidenten. Der Rechtsextreme Le Pen wurde zweitstärkster Politiker Frankreichs. Und die außerparlamentarischen linksradikalen Parteien bekamen mehr Stimmen als die linken Koalitionspartner der Sozialdemokraten. Was folgte, war ein massives Plebiszit für die Republik. Dass Letzteres zugunsten von Chirac ausfiel, lag an der Abwesenheit jeder Alternative.

Jetzt haben die Linken und Rechten fünf Jahre lang Zeit, sich mit den Ergebnissen der Urnengänge zu arrangieren. Die Rechten verfügen zwar über massive Mehrheiten, nicht jedoch über klare Programme. Ihre erst vor sechs Wochen per Fingerzeig aus dem Elysée-Palast gegründete Präsidentenpartei UMP hat bislang weder Mitglieder noch Statuten noch einen Vorsitzenden.

Die Linken haben erfahren müssen, dass eine sozialliberale Politik, wie die rot-rosa-grüne Regierung sie in den vergangenen fünf Jahren praktiziert hat, allenfalls den Sozialdemokraten nutzen kann. Ihren linken Koalitionspartnern – von den Kommunisten über die Grünen bis zu den Linksnationalisten – hat sie geschadet.

Die Rechtsextremen schließlich sind keineswegs tot, sondern dank des französischen Wahlrechtes nur vorübergehend außer Gefecht gesetzt. Schon bei den nächsten Urnengängen werden sie sich zurückmelden.

Dorothea Hahn in der taz vom 17. 6. 2002