Gewonnenes Heimspiel

KULTURFESTIVAL Türkische, deutsch-türkische und türkisch-deutsche Kultur findet sich in Altona schon seit 50 Jahren in allen Facetten. Bei der 13. Altonale präsentiert sich die Türkei in den nächsten Wochen als Partnerland

Was passiert, wenn Karagöz und Hacivat ins Almanya der Gegenwart ziehen?

VON ROBERT MATTHIES

Zu Hause waren Karagöz, der einfache, aber gerissene Mann aus dem Volk, und sein höflich-gebildeter Nachbar Hacivat in der Istanbuler Gesellschaft des osmanischen Reichs. Beliebt ist das Schattenspiel heute aber nicht nur in der Türkei, in Griechenland oder Iran ist das türkische Pendant zum Kasperletheater ebenfalls zu Hause. Auch, weil neben den Protagonisten die ganze Vielschichtigkeit des osmanischen Instanbul ihren Ausdruck findet und viel Raum für Satire, Ironie und Komik lässt.

Was aber passiert, wenn man Karagöz und Hacivat, den Opportunisten und sein ungehobeltes Gegenüber, ins Almanya der Gegenwart ziehen lässt, nach Altona? Wie lösen sie dort ihre Probleme? Zu hören ist das von Mahmut Canbay inszenierte satirische Streitgespräch am Freitag im Thalia in der Gaußstraße zum Auftakt des binationalen Theaterfestivals „Heimspiel ’11“, das dieses Jahr zum ersten Mal im Rahmen der mittlerweile neben allerlei kommerziellem Klimbim und Stadtteilmarketing zum ausgewachsenen Kulturfestival avancierten Altonale stattfindet.

Denn deren Partnerland ist diesmal die Türkei. Und so findet sich türkische, deutsch-türkische und türkisch-deutsche Kultur in den nächsten drei Wochen im Stadtteil, dessen Geschichte in den letzten 50 Jahren seit dem Abschluss des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens 1961 so deutlich immer auch eine türkische war, überall: in Schaufenstern, auf Theater- und Lesebühnen, mitten im öffentlichen Raum. Wie komplex die gegenseitigen Beziehungen und die sich daraus ergebenden kulturellen Identitäten sind, wird dabei nicht nur bei den binationalen Produktionen des „Heimspiel“-Festivals deutlich.

Die Ausstellung „Haymatloz – Exil in der Türkei 1933 – 1945“ etwa setzt sich mit einem kaum bekannten Kapitel deutsch-türkischer Beziehungen auseinander: Rund 1.000 Menschen sind während des Nationalsozialismus in die Türkei emigriert – und haben als Künstler oder Intellektuelle an der gesellschaftlichen und kulturellen Modernisierung nach der kemalistischen Revolution mitgewirkt. Die zweisprachige Ausstellung des Aktiven Museums Berlin ist ab Montag wochentags von 8 bis 17 Uhr im Wirtschaftsgymnasium St. Pauli zu sehen.

Einen komplexen Blick auf eine vielschichtige Kultur wirft auch Yüksel Yavuz am 17. Juni im Lichtmess-Kino in der Gaußstraße. Dort sind zwei seiner Filme zu sehen. „Mein Vater, der Gastarbeiter“ erzählt als autobiografischer Dokumentarfilm die Geschichte einer kurdischen Familie, deren Vater es 1968 nach Hamburg zieht, wo er in einer Werft arbeitet. Zwölf Jahre später holt er zwei seiner Söhne nach Deutschland – auch, um nicht zu vereinsamen, bevor er 1984 zurück nach Kurdistan ging. Yüksel Yavuz blieb und holte 1994 seine Eltern für ein berührendes Zeitdokument noch einmal nach Hamburg. In „Close up Kurdistan“ stellt Yavuz 2007 eine Verbindung zwischen seiner persönlichen Geschichte als Migrant und dem türkisch-kurdischen Konflikt her, reist nach Stockholm, in die Türkei und den Irak, besucht seine Eltern und trifft in Istanbul den türkischen Soziologen İsmail Beşikçi, der, unter anderem wegen „Gründung einer geheimen Ein-Mann-Organisation“, 17 Jahre im türkischen Knast verbracht hat und Abdulkaditr Aygan, der als „Contra-Guerilla“ gegen die kurdische Opposition vorgegangen ist.

■ Mi, 1. 6. bis So, 19. 6., Infos und Programm: www.altonale.de