STRASSENMUSIKER: Eine Landplage
„Schießen Sie bitte nicht auf den Pianisten“ wurde früher auf Schildern hingewiesen. Die Musiker standen unter besonderem Schutz, weil man ihrem Beruf und ihrem Können Achtung entgegenbrachte, und deshalb sollten sie nicht gleich getötet werden, wenn sie ins Kreuzfeuer zweier feindlicher Gangs gerieten. „Heute ist das alles ganz anders“, seufzt der Besitzer eines kleinen Restaurants. „Die Gefahr für Musiker, erschossen zu werden, ist sehr gering. Und deshalb haben sie sich auch so rasant vermehrt.“ Interessante Theorie.
„Man kann hier ja keine fünf Schritte mehr gehen, ohne über diese verdammten Schnorrer zu stolpern.“ Achtung vor ihrem Beruf und Können hätte niemand mehr, denn vor allem mit ihrem Können hapert es in der Regel, weshalb er dafür plädiert, einen Verein zur Erschießung von Straßenmusikern zu gründen, um den Bestand dieser Landplage auf ein erträgliches Maß zu reduzieren. Er würde freiwillig den Vorsitz übernehmen. „Ich kann’s nicht mehr hören. Überall krächzt eine Trompete, jault eine Ziehharmonika, quietscht ein Saxofon. Letzthin hat einer sogar ein ganzes Klavier hinter sich hergezogen.“ Stimmt, sogar eine Harfe hatte jemand auf die Admiralbrücke transportiert, um die Saiten zu zupfen, dabei war dieses Instrument schon zu Recht in Vergessenheit geraten.
Der Restaurantbesitzer geht sehr ruppig mit den Straßenmusikern um, die mittlerweile einen großen Bogen um seinen Laden machen. Von der anderen Straßenseite wehen die Klänge einer Kombo des Grauens herüber. Ich bin geneigt, dem Verein beizutreten. „Vielleicht sollten wir schon mal die Satzung ausarbeiten“, sage ich. Aus Getränke Hoffmann wankt ein Alkoholiker. In seiner Parkatasche steckt ein Flachmann. In den Händen hält er eine Flöte. Die Töne klingen sehr nach Schnaps. Der Restaurantbesitzer ignoriert ihn. Schließlich kann er nicht jeden erschießen. KLAUS BITTERMANN
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