Mutter Bonanza

LAIENSCHAUSPIEL Das Theatertreffen der Jugend verhandelt Fragen der Gesellschaft von morgen

Wer die Welt verändern will, soll Demos und Sitzblockaden organisieren

Was Brechts „Mutter Courage“ mit der Fernseh-Westernserie „Bonanza“ zu tun haben könnte, erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Auch wenn der Planwagen, mit dem die Courage über die Schlachtfelder des Dreißigjährigen Krieges zieht, leise Assoziationen an die westwärts ziehenden (und immer wieder von Indianern überfallenen) Wagenkolonnen der amerikanischen Siedler weckt. Auch wenn Brechts Heldin drei Kinder mit drei verschiedenen Männern hat. Wie der Chef des Bonanza-Clans drei Söhne mit drei Frauen hat. Die Erinnerung an beide Stoffe ist allerdings ziemlich verblasst. Erinnern werden sich höchstens Leute, die in den sechziger und siebziger Jahren aufgewachsen sind.

Aber schauen wir genauer hin, so wie ein Grundkurs „Dramatisches Gestalten“ des Münchner Carl-Orff-Gymnasiums, der beide Stoffe zu einem Theaterabend gemixt hat. Dieser war beim „Theatertreffen der Jugend“ zu sehen, das seit über dreißig Jahren Laienproduktionen von Jugendgruppen, Theaterjugendclubs und Schulen nach Berlin einlädt und als gleichrangig nebeneinanderstellt.

Seit seinen Anfängen in den späten siebziger Jahren war das TTJ von dem Gedanken getragen, jugendliches Laientheater künstlerisch ernst zu nehmen und ihm ein prominentes Forum zu verschaffen. Dabei hat sich das Festival schon immer als Nachwuchsförderung verstanden. So verweisen die Berliner Festspiele als Veranstalter stolz darauf, dass die Schauspielerin Sandra Hüller einst als Jugendliche in einer zum TTJ eingeladenen Produktion mitgewirkt hat. Und der junge Dramatiker Thomas Freyer als Jugendlicher sogar zweimal dabei gewesen ist.

Offene Projekte

Speziell in den letzten Jahren ist das Schultheater aus seiner Nischenexistenz als Eltern- und Großelternvergnügen herausgetreten – seit auch professionell arbeitende Gruppen und Theater den Reiz dieser offenen Projekte und Auseinandersetzungsformen mit Jugendlichen erkannten, in denen häufig Fragen der Gesellschaft von morgen verhandelt werden, die für die Jugendlichen schon Fragen von heute sind: Themen wie Integration, Migration oder der Einfluss der virtuellen Welten von Internet und Computerspielen. Themen, zu denen der Eltern- und Lehrergeneration meist die eigene Erfahrung fehlt, weswegen man davon sprechen kann, dass sich zum ersten Mal Erwachsene nach der Erfahrung der Jugendlichen strecken, um den Zukunftsanforderungen gewachsen zu bleiben. Das alles findet im Augenblick sehr prominent auf dem Theater statt: dem Theater von und mit Jugendlichen.

„Clash“ etwa, eine Produktion des Jungen DT, die das „Theatertreffen der Jugend“ eröffnete, spielt mit jugendlichen Laien höchst komisch und differenziert Fragen der sogenannten Integrationsdebatte durch und demontiert dabei ebenso klug wie handstreichartig die Sarrazin-Thesen als hohl und in ihrem gedanklichen Horizont vollkommen unzulänglich. Regie führte Nurkan Erpulat, dessen Ballhaus-Naunynstraße-Inszenierung „Verrücktes Blut“ gerade landauf, landab Furore macht.

Aber nun sind wir ein wenig von der Frage nach den Zusammenhängen von Mutter Courage und Bonanza abgekommen, die der Theaterabend „Mutter Kuhranch – Wie Aristoteles Brecht post mortem 2:0 besiegte“ stellt und auch zu beantworten sucht. Hier nämlich wird Brechts Theorie des Epischen Theaters sozusagen auf epischem Weg auseinandergenommen. Wird der Versuch gemacht, Aristoteles’ Katharsis- und Einfühlungstheorie szenisch zu beweisen: da der Mensch schließlich nicht anders kann, als im Theater mit Bauch und Herz zu denken. Wozu sonst schließlich ist Theater da? Wer die Welt verändern will, soll Demos und Sitzblockaden organisieren, statt den Menschen im Theater das Mitgefühl abgewöhnen zu wollen.

Und so treten Ben Cartwright und Mutter Courage als alleinerziehende Eltern in schweren Zeiten gegeneinander an, werden die Cowboy-Söhne am Ende auch noch mit Tschechows „Drei Schwestern“ vermählt. Denn neben dem Mitgefühl ist Theater auch Unterhaltung, auch dies möchten die jungen Spieler unbedingt festgehalten wissen. Und leisten mit Slapsticks, Schieß- und Comic-Einlagen engagierte Überzeugungsarbeit.

ESTHER SLEVOGT