Für die Linke 45 Prozent

Jens Böhrnsen hatte eine Gruppe von SchülerInnen zum Thema „Armut“ eingeladen. Die fanden den Bürgermeister sympathisch, aber nicht überzeugend: An der Schule würde die Linke stärkste Partei

Von KLAUS WOLSCHNER

Kinderarmut, das ist in Bremen ein Thema, seitdem eine Schülergruppe für die „Nacht der Jugend“ einmal im Detail nachgerechnet hat, wie ein Jugendlicher mit 207 Euro – das ist der Hartz-IV-Regelsatz – leben soll. Der Mitgliedsbeitrag für einen Sportverein ist da schlicht nicht drin, und dass Jugendliche in einem Jahr aus Fußballschuhen herauswachsen, haben die Experten des Warenkorbs nicht gewusst. Und auch für ein Konfirmations-Kleid ist keine Extra-Summe vorgesehen. Die Berechnungen, im November 2005 vorgetragen, haben die Politiker beeindruckt, bekannte Bürgermeister Jens Böhrnsen gestern im Gespräch mit einer Gruppe von rund 50 Jugendlichen, von denen einige damals dabei waren. Und, was tun? Darum sollte es gehen.

Der an der Untersuchung beteiligte Lehrer Wolfram Stein berichtete, dass aus dem Schülerprojekt inzwischen sogar eine Bundesratsinitiative geworden sei. Das sei ein Antrag, der, wenn er angenommen wird, im Bundestag debattiert werden muss und beschlossen werden kann, erläuterte der Bürgermeister das Verfahren. Und in dem Bremer Vorstoß soll es um die Anhebung des Regelsatzes für Kinder im Sozialgesetzbuch gehen.

Aber diesen Antrag gibt es noch nicht, er ist bisher nur, wie Politiker zu sagen pflegen, „auf den Weg gebracht“. Bisher klemmt es beim Bremer Koalitionspartner CDU. Aber dann, erklärte Böhrnsen den SchülerInnen, müsse man auch gucken, dass der Antrag so formuliert ist, dass er im Bundestag mehrheitsfähig ist. Geschickt wäre es, nicht eine pauschale Anhebung zu beantragen, ließ er durchblicken, sondern eine Ausweitung der „Sonderbedarfe“. Und die Kommunalkasse könnte etwa mit kostenlosem Mittagessen in Kitas und Schulen für Hartz-IV-Empfänger nachhelfen.

Wie ist das eigentlich mit der Lern- und Lehrmittelfreiheit, wollte eine Schülerin wissen. Workbooks, Material, zusätzliche Bücher – auch dafür ist im „Regelsatz“ nichts vorgesehen. Man solle doch die Lehrmittelfreiheit „ernster nehmen in Bremen“.

Er sei strikt dagegen, die Lehrmittelfreiheit abzuschaffen, antwortete Böhrnsen. Bei der Frage, wie weit die Lehrmittelfreiheit gehen soll, müsse man angesichts der Haushaltslage „einen Mittelweg gehen“. Was bitteschön ist ein „Mittelweg“ für Hartz-IV-Empfänger, hakte eine andere Schülerin nach. Böhrnsen sprach ausweichend darüber, dass Unternehmen mehr motiviert werden könnten, Schulen zu fördern. Auch eine genauere Definition, was unter Lernmittelfreiheit fallen sollte und was nicht, fand er nicht sinnvoll.

Die Schüler – ein Teil der Gruppe kam vom Schulzentrum am Rübekamp – fanden den Bürgermeister in seiner leisen, freundlichen Art „sympathisch“. Dass er sich hin und wieder „herausredet“, das sei eben normal bei Politikern. Und die Bundesratsinitiative? „Kann ich mir nicht vorstellen, dass da etwas herauskommt“, meinte ein Schüler. Da hatte auch die Euphorie ihres Soziologie-Lehrers nicht ansteckend gewirkt.

Die SchülerInnen gehörten allesamt zu jenen, die zum ersten Mal wählen dürfen. Im Soziologie-Leistungskurs, erzählten sie, haben sie am „Wahl-O-Mat“ teilgenommen, und da waren die Verhältnisse klar: Neun von 20 Jugendlichen hatten die Linke gewählt, jeweils vier die SPD und die Grünen, drei die CDU. Weder FDP noch rechte Parteien hatten eine Chance.