Hilfe, wir kommen zu den Russen!

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Die Bar Gagarin in Prenzlauer Berg bietet russische Küche für Außerrussische

Es gehört zu den Eigenarten der Berliner, anzunehmen, dass Russen eine vereinnahmende Liebe zu ihrer Stadt hegen. Sobald sich mehr als drei Russen zusammenfinden, werden Ängste aktiviert, vor der russischen Mafia, der Oligarchie und vor der stark parfümierten russischen Frau. Russen im Fitnessstudio und Russen bei Escada, klar, gibt es das, doch man sollte bei dieser angenommenen Invasion immer im Hinterkopf behalten, wie sich ein Londoner fühlen mag, gerade erst daran gewöhnt, als Nationalgericht ein Chicken Curry zu löffeln. Der sieht sich, wenn er über die Kings Road geht, anderen Kalibern gegenüber: Russen, die ganze Fußballclubs kaufen oder Plutoniumspuren in Sushi-Restaurants hinterlassen.

Im Gagarin, einem angeblich russischen Lokal am Wasserturm in Prenzlauer Berg, gibt es zwar Blini und Pelmini, russische Landsleute, die hier sitzen und ihren Mittagswodka aus Wassergläsern trinken, sucht man jedoch vergeblich. Weder sitzen sie im Lokal, das aussieht, als habe es eine überambitionierte Schulklasse am Projekttag gestaltet: Links kleben fein säuberlich Bilder des Sowjethelden Juri Gagarin an der Wand, auf die rechte Wand wurde eine Planetenkonstellation aufgetragen, dazwischen Möbel, die eine Schulbankaura umweht. Noch lungern sie am Samstagnachmittag, den Halbschatten genießend, an den Tischen vor dem Gagarin herum.

Kein Russe, nirgends. Ein verkaterter amerikanischer Jüngling zieht sich eine der ausliegenden blauen Decken um die Schultern, Familien essen zu Mittag, das junge Volk frühstückt, andere nehmen nur einen Kaffee. Die Margeriten auf dem Tisch, die bunte Lichterkette und der blauweiße Bezug der Sitzkissen, der an Strandkörbe in Timmendorf erinnert, lassen den Besucher in norddeutsche Urlaubsstimmung abgleiten.

Kulinarisch kommt das Gagarin den Wünschen derer entgegen, die es gerne etwas gehaltvoller haben: Die gemischte Pelmini-Platte für zwei ist trotz der Variationen bei der Füllung nicht besonders abwechslungsreich. Blinis mit Sauerkraut und saurer Sahne, Zupfkuchen mit crunchigem Boden. Angesichts solch einfacher, ehrlicher Speisen braucht man nicht von einer Milchschnitte zu träumen, sondern kann sich dösig dem Maximalsättigungsgefühl hingeben.

Das Gagarin macht auch dank des freundlichen Services einen sympathischen, entspannten Eindruck. Kein Hort russischer Lebensweise, aber das Berliner Leben am Samstagnachmittag lässt sich hier gut beobachten.

BAR GAGARIN, Knaackstr. 22/24, 10405 Berlin, Tel. (0 30) 4 42 88 07, U-Bahnhof Senefelder Platz, tägl. ab 10 Uhr geöffnet & warme Küche, ww.bar-gagarin.de, Cola 1,90 €, Latte macchiato 2,60 €, Wodka ab 2,50 €, gemischte Pelmini-Platte für zwei 16 €