An den Wahlurnen entzaubert

ITALIEN Nach den verheerenden Niederlagen von Berlusconis Kandidaten bei den Kommunalwahlen droht der Regierungschef den Städten, wo die Linken gewannen. Die feiern trotzdem ihren historischen Sieg

AUS ROM MICHAEL BRAUN

„Wenn ich verliere, verdreifachen sich meine Kräfte“ – Silvio Berlusconi brauchte nur ein paar Stunden, um sich die vernichtende Niederlage im zweiten Wahlgang der Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag und Montag schönzureden. Berlusconis Kandidaten brachen auf breiter Front ein, während die Linke Triumphe feierte.

So eroberte Mailands Linkskandidat Giuliano Pisapia die seit 1992 ununterbrochen rechts regierte Wirtschaftsmetropole des Nordens mit triumphalen 55 Prozent. Und im süditalienischen Neapel durfte Luigi De Magistris gar unglaubliche 65 Prozent gegen den Berlusconi-Kandidaten verbuchen.

Die beiden Millionenstädte stehen keineswegs allein. Quer durchs Land schnitten die Kandidaten der Berlusconi-Rechten und der mit ihr verbündeten populistisch-fremdenfeindlichen Lega Nord miserabel ab – und quer durchs Land trafen sich am Montagabend die Wähler der Linken zu enthusiastischen Siegesfeiern; so drängten sich auf dem Domplatz in Mailand zehntausende Menschen mit Sprechchören „Berlusconi, tritt zurück!“

Berlusconi selbst hatte das Votum rundheraus zur „Abstimmung über mich und meine Regierung“ erklärt, hatte dann einen Hetzwahlkampf geführt, der am Ende in der Beschimpfung der Linkswähler, sei seien „hirnlos“, den passenden Abschluss fand. Und auch nach Auszählung der Stimmen macht der Regierungschef weiter: „In Neapel werden sie das schwer bereuen, und die Mailänder müssen jetzt beten“, erklärte er umgehend.

Beten, so scheint es, muss jetzt aber er selbst. Vor allem die Niederlag in Mailand gilt vielen seiner Gefolgsleute als Menetekel. Hier gelang Pisapia die eigentlich für unmöglich gehaltene Übung: Obwohl der Rechtsanwalt von der stramm Linken Partei „Linke – Ökologie – Freiheit“ aufgestellt worden war, eroberte er eine deutliche Mehrheit. Pisapia steht für eine soziale und ökologische Wende in der Stadt, die er gern „wie Berlin“ sähe.

Nationalen Symbolwert hat auch die Niederlage in Neapel. Hier hatte Berlusconi sich nach seinem Wahlsieg 2008 als Saubermann aufgespielt, der die Stadt von ihren Müllbergen befreite. Deshalb glaubte er, Neapel werde ihm wie eine reife Frucht in den Schoß fallen. Doch seit einigen Monaten türmt sich der Abfall wieder auf den Straßen – und Berlusconi wurde an den Wahlurnen entzaubert.

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