FRANKREICH III: SARKOZYS GEREDE VOM GESINDEL WIRD NACHWIRKEN
: Polarisierte Kandidaten

Zweierlei überraschte bei den französischen Präsidentschaftswahlen: die Wahlbeteiligung und die Polarisierung der beiden Kandidaten. Dass die Wahlbeteiligung auch im zweiten Wahlgang bei rund 85 Prozent lag, widerlegt jene, die eine Ermüdung des Publikums erwartet hatten. Beide Kandidaten führten ein eher langweiliges Wahlkampftheater auf. Wahrscheinlich war es das Versprechen beider Kandidaten, Frankreich zu verändern, das die Hoffnungen des einen und die Befürchtungen des anderen Lagers anstachelte und die Wähler mobilisierte.

Erst in der Schlussphase des Wahlkampfs verschärfte sich die Tonlage – insbesondere im Fernsehduell. Ségolène Royal redete sich in eine heilige Wut hinein und bezichtigte Sarkozy der Lüge sowie des Mangels an Anstand und Respekt. In diesem Duell – aber nicht in den Wahlprogrammen – zeichnete sich eine Polarisierung ab. War das eine rhetorische Finte, oder deutet die Polarisierung der Kandidaten auf den Riss hin, der die Gesellschaft spaltet? Bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Juni wird sich zeigen, ob es der Sozialistischen Partei gelingt, ihr Profil als linke Partei zu schärfen, oder ob sie von vornherein mit der neuen bürgerlichen Partei François Bayrous Wahlabsprachen auskungelt. Die Zersplitterung der Linken – deren fünf Präsidentschaftskandidaten zusammen nur gut 10 Prozent der Wähler mobilisiert haben – wirkt sich bei den Parlamentswahlen noch katastrophaler aus, denn bei denen gilt das Mehrheitswahlrecht.

Wie real die Polarisierung in der französischen Gesellschaft ist, erwies sich in der Wahlnacht. Während Anhänger der Regierungspartei auf der Place de la Concorde feierten und tanzten, lieferten sich Polizei und Autonome auf der Place de la Bastille eine Straßenschlacht. In den Vorstädten brannten – trotz starker polizeilicher Präsenz – 367 Autos. Politisch sind diese Gewaltausbrüche schwer einzuordnen. Ob von der Wahl Sarkozys eine Politisierung ausgeht, ist unsicher. Aber sein Gerede vom „Gesindel“ wird in den Vorstädten so schnell nicht vergessen werden. RUDOLF WALTHER