Auf der Suche nach Statur

Außenpolitik unter Sarkozy: Offene Konfrontationen mit der US-Regierung wird der neue Präsident Frankreichs wohl meiden, die neokoloniale Politik in Afrika aber weiterführen

BERNHARD SCHMID, 35, hauptberuflich Jurist, arbeitet im Nebenberuf als freier Journalist. Seit zwölf Jahren lebt und arbeitet er in Paris. Sein jüngstes Buch „Das koloniale Algerien“ ist im vergangenen Herbst bei Unrast erschienen.

„Sarkozy l’Américain“ – so nenne man ihn zu Hause in Frankreich, verkündete Nicolas Sarkozy mit stolzgeschwellter Brust, als er am 11. und 12. September vergangenen Jahres New York und Washington, D. C., besuchte, pünktlich zum fünften Jahrestag der Attentate von 2001. Sarkozy, der Amerikaner: Abgesehen von verbalem Geplänkel wie der Kritik an der US-Klimapolitik vom Wahlabend, wird dies wohl die außenpolitische Marschrichtung des neuen Präsidenten werden.

Aus Anlass seines Besuches vom vergangenen September ließ Sarkozy, damals französischer Innenminister, sich mit US-Präsident George W. Bush im Oval Office ablichten und mischte damit einmal mehr Egozentrik mit dem Bemühen um politische Profilierung. Hinterher wurde sein PR-trächtiger Auftritt mit dem mächtigsten Mann der Welt in Frankreich zum glatten Reinfall, da die von Sarkozys Kommunikationsteam verbreiteten Fotoaufnahmen durch kritische Betrachter in der Presse – namentlich beim auf Enthüllungen spezialisierten Canard enchaîné – im Nachhinein berichtigt wurden.

Das berühmt gewordene Foto von Sarkozys Besuch beim US-Präsidenten zeigt die beiden Männer nebeneinander, und es vermittelt den Eindruck, als seien sie genau gleich groß. In Wirklichkeit trennen Sarkozys und Bushs Körpergröße aber 15 Zentimeter. Das Bild war so lange aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen worden, bis der Eindruck stimmte. Le Canard enchaîné aber druckte die Aufnahme in einer retuschierten Fassung ab, die die tatsächlichen Proportionen wieder herstellte. Das Bild wurde zum Lacherfolg beim Publikum.

Die Sache hat aber einen ernsten politischen Hintergrund. Denn tatsächlich bricht Nicolas Sarkozy, obwohl selbst aus der neogaullistischen Partei (dem ehemaligen RPR, der 2002 in der konservativen Einheitspartei UMP aufging) kommend, in außenpolitischer Hinsicht mit sämtlichen Prinzipien, Dogmen und Mythen des französischen Gaullismus. Letzterer hatte über Jahrzehnte hinweg den Anschein einer sehr weitgehenden Unabhängigkeit in der Außenpolitik erwecken wollen, der darüber hinwegtäuschen konnte und mochte, dass Frankreich den Status einer Weltmacht zusammen mit einem Großteil seiner Kolonien verloren hatte. Diese Politik hatte ihre Blütezeit in den Sechzigerjahren.

Damals baute das offizielle Paris darauf, dass auch nach der Welle der Entkolonialisierung ein Agieren als traditionelle Großmacht weiterhin möglich sei: Frankreich solle sich nun, als starker und gefestigter Nationalstaat, den jungen, frisch entstandenen Republiken in Afrika oder Asien, beziehungsweise ihren Eliten, als Vorbild und Partner anbieten. Dieser Kurs fand seinen Höhepunkt, als Präsident Charles de Gaulle mit seiner „Rede von Phnom Penh“ 1966 den durch die USA geführten Krieg in Vietnam verurteilte. Er hatte aber auch seine negativen Aspekte, als etwa die Baath-Diktatur im Irak in den Siebzigerjahren durch breite Teile der französischen politischen Klasse als „arabischer Gaullismus“ bezeichnet und glorifiziert wurde.

Im Frühjahr 2003 schwieg er – was bei ihm wirklich selten vorkam – zum Ausbruch des Irakkriegs

Zu realer Weltpolitik auf eigenen Füßen hat Frankreich heute nicht mehr die Mittel. Zu groß ist der Abstand bei den Militärausgaben gegenüber den USA. Auf dem afrikanischen Kontinent – wo Frankreich seit vier Jahrzehnten einen Neokolonialismus mit äußerst klassischen Methoden betrieb und sich lange Zeit nicht einmal die Mühe gab, den Anschein einer Modernisierung seiner Praktiken zu erwecken – wird seine Einflusssphäre durch das Vordringen von US-Interessen und chinesischer Konkurrenz zunehmend angeknabbert.

Vor diesem Hintergrund bleiben der französischen Rechten zwei grundsätzliche Möglichkeiten: entweder die Annäherung an die militärisch stärkeren und in Afrika offensiv gewordenen USA, um als ihre (Junior-)Partner einen Teil des bisherigen Einflusses zu halten – oder aber die nationalistische Fundamentalopposition gegen den Statusverlust des eigenen Landes. Letztere Variante vertrat der rechtsextreme Politiker Jean-Marie Le Pen, als er 1990 infolge des Endes der bipolaren Weltordnung die These von den Intellektuellen der extremen Rechten übernahm, der Hauptfeind sei nun nicht mehr „der Kommunismus“, sondern der vaterlandslose Liberalismus und der Atlantizismus.

Die bürgerliche Rechte navigierte hingegen lange Zeit irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Polen herum. Nicolas Sarkozy legt ihr nun aber einen Übergang zur offenen Annäherung an die USA, ihre Außen- und Militärpolitik nahe. Im Frühjahr 2003 schwieg er – was bei diesem Politiker nun wirklich äußerst selten vorkam – zum Ausbruch des Irakkriegs. Seine Berater wie Pierre Lellouche verkündeten aber schon damals, in Wirklichkeit verurteile Sarkozy das „Nein“ Chiracs zum Angriff auf den Irak.

Im September 2006 in Washington, D. C., hat der Minister es nunmehr offen bekundet: Mit seiner Haltung im Vorfeld des Irakkriegs habe Frankreich „Arroganz“ bewiesen und die Mittelmacht habe die Weltmacht Nummer eins, die USA, dadurch „erniedrigt“. Doch Opportunismus verpflichtet: In seiner Rede anlässlich seiner offiziellen Kür zum Präsidentschaftskandidaten, am 14. Januar dieses Jahres in den Pariser Messehallen, lobte Sarkozy die historische Bilanz seines Rivalen Chirac und hob dabei auch seine Position zum Irakkrieg, der „ein Fehler“ gewesen sei, hervor.

Sarkozy bricht außenpolitisch mit sämtlichen Prinzipien des Gaullismus

Die Rede in den Pariser Messehallen markiert de facto auch Nicolas Sarkozys Position zur Zukunft der französischen Afrikapolitik. Nicht so sehr aufgrund dessen, was er in Worten ausführte, sondern aufgrund dessen, was man sah. Einer der prominenten Gäste war Pascaline Bongo – niemand anders als die Tochter von Omar Bongo, des seit 1967 ununterbrochen amtierenden Präsidenten der Republik Gabun, eines der erdölreichsten Staaten Afrikas. Omar Bongo ist so etwas wie der Kassenwart der Françafrique, jenes mafiösen Netzwerks, mittels dessen der französische Postkolonialismus Teile des afrikanischen Kontinents kontrolliert. Bongo kann politische Karrieren nicht nur in Afrika, sondern selbst in Frankreich fördern oder zerstören: In seiner vierzigjährigen Laufbahn hat er so viel Wissen über Korruptionsnetze, Finanzierungsquellen und geheime Waffenlieferungen angehäuft, dass er für viele Akteure der französischen Politik unumgänglich geworden ist. Er habe „genug Wissen, um die Fünfte Republik zehnmal in die Luft gehen zu lassen“, drohte er im Januar 2001, als französische Ermittler den Spuren der „Affäre Falcone“ – es ging um einen Waffendeal mit beiden Bürgerkriegsparteien in Angola – folgten und ihm bedrohlich auf die Pelle zu rücken drohten.

Seine Tochter zum UMP-„Krönungskongress“, wie viele Beobachter den Nominierungsparteitag im Januar spöttisch nannten, einzuladen, zeigt besser als alles andere, wie ernst es Nicolas Sarkozy tatsächlich mit dem bekundeten Willen zu einer „Erneuerung“ der französisch-afrikanischen Politik ist: Es handelt sich um Lippenbekenntnisse, nichts weiter. BERNHARD SCHMID