Postliberalisierung führt zu Lohndumping

Vor der heutigen Hauptversammlung der Post fordern Gewerkschafter, die Öffnung des Briefmarktes zu überdenken

BERLIN taz ■ Andreas Albrecht hat die Nase voll. Mehrere Monate arbeitete er bei einem privaten Postdienstleister in Berlin – für einen Hungerlohn. „Für eine 50-Stunden-Woche habe ich im Monat 405 Euro rausgekriegt“, so Albrecht. Der Trick: Offiziell habe er, nachts Briefe sortierend, nur einen Halbtagsjob gehabt, real aber mit unbezahlten Überstunden 50 Stunden pro Woche gearbeitet. Kein Einzelfall, so ein Gewerkschafter: „In der Branche tummeln sich schwarze Schafe.“

Wenn im nächsten Jahr das Briefmonopol der Post komplett fällt, könnte der Wildwuchs sogar noch zunehmen. Nach eigenen Angaben hat die Post, die heute in der Kölnarena ihre Jahreshauptversammlung abhält, bei den Briefen in Deutschland noch einen Marktanteil von knapp 90 Prozent. Bei einer weiteren Liberalisierung der Postmärkte, wie sie die EU-Kommission vorschlägt, könnte dieser Marktanteil schrumpfen. Andererseits dürfte die Post im Ausland profitieren, würden sich doch auf bisher abgeschotteten Märkten neue Chancen ergeben. Knapp 30 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet die Post schon im europäischen Ausland.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di hat vor allem die Konsequenzen im Inland im Blick. Am 15. Mai erwartet sie 20.000 Demonstranten zu einer Kundgebung in Berlin. Motto: Gegen Liberalisierung ohne Sachverstand. „Wir haben nichts gegen die Liberalisierung der Postmärkte, wenn dabei soziale Standards definiert werden“, so Ver.di-Sprecherin Cornelia Haß. Wenn die bisherige Exklusivlizenz der Post in Deutschland zum 1. Januar 2008 aufgeweicht werde, müsse dies auch in anderen europäischen Ländern geschehen. Noch sträubten sich aber etwa Franzosen, Italiener und Spanier. „Den deutschen Briefmarkt sollten wir nicht einseitig und vorschnell öffnen.“

Die Erfahrungen mit der bisherigen Liberalisierung machen ohnehin skeptisch. Rund 40.000 Arbeitsplätze wurden seitdem bei der Post abgebaut. Zwar sind neue Jobs entstanden, zumeist aber unter schlechteren Arbeitsbedingungen. Haß: „Der Prekarisierungsstand in der Postdienstleistungsbranche ist erschreckend.“ Die Bundesnetzagentur müsse die Vergabe von Lizenzen an die Einhaltung von sozialen Standards knüpfen.

Langsam kommt Bewegung in die Tariflandschaft der Branche – seit der rot-rote Berliner Senat öffentliche Aufträge nur noch an Firmen vergeben will, die einer Tarifbindung unterliegen. Mit dem Postdienstleister PIN Group führe Ver.di am 22. Mai das nächste Tarifgespräch, berichtete der Berliner Ver.di-Postexperte Benedikt Frank. Auch beim Postdienstleister TNT sei man auf einem guten Weg. Dennoch fordert Frank einen gesetzlichen Mindestlohn. Gerade in kleinen Unternehmen, die häufig ihre Beschäftigten nur auf Zeit anstellten, sei es schwierig, Haustarifverträge durchzusetzen.

Andreas Albrecht hingegen hat seine Konsequenzen aus den Erfahrungen in der Branche gezogen. Mittlerweile ist er freiberuflicher Gärtner. „Das ist besser, als Briefe zu sortieren.“ Im Internetblog „Postbotenforum“ engagiert er sich aber noch immer für seine ehemaligen Kollegen.

RICHARD ROTHER