Schullärm macht Lehrer krank

80 Prozent der Lehrer leiden unter zu viel Lärm. Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert daher einen besseren Arbeitsschutz. Viele Schulen haben bisher nicht einmal einen Beauftragten für diese Belange, obwohl ein solcher gesetzlich vorgeschrieben ist

AUS BERLIN ANNA LEHMANN

Unterrichten ist gesundheitsgefährdend – nach Angaben der Lehrergewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) halten es derzeit nur 15 Prozent der Pädagogen bis zum 65. Lebensjahr im Schuldienst aus. Über 40 Prozent werden wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand geschickt, über die Hälfte davon wegen psychischer Erkrankungen. Die GEW fordert deshalb besseren Arbeitsschutz für Lehrer und Lehrerinnen. Dieser werde mangelhaft umgesetzt, wie es in einem gestern vorgestellten Rechtsgutachten zum Arbeits-und Gesundheitsschutz an Schulen heißt.

Über 80 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer litten unter Lärm, der durch Schüler hervorgerufen werde, berichtet die Arbeitsmedizinerin Marianne Zühr-Gäbelein. „Und zwar sowohl in den Pausen als auch im Unterricht.“ Auch durch neue Unterrichtsformen wie Gruppenarbeit erhöhe sich der Lärmpegel in den Klassenräumen, so die leitende Ärztin am Vorsorgezentrum, das Berliner Lehrer betreut. Dieser liegt im Durchschnitt bei 67 Dezibel, 7 Dezibel über normaler Sprechstimme. Für den durchschnittlichen Lehrer bedeutet das, dass er oder sie mit gehobener Stimme unterrichten muss. Einfache bauliche Veränderung in den Räumen könnten oft ein erster Schritt zu einer ruhigeren Atmosphäre sein, meint GEW-Arbeitsschutzexpertin, Anne Jenter.

Am Friedländer-Gymnasium in Mecklenburg-Vorpommern ist schon seit längerem mehr Ruhe eingekehrt – und zwar durch den Umbau des Stundenplans. Die Lehrer unterrichten seit drei Jahren nicht mehr im 45-Minuten-Takt, sondern geben die meisten Stunden als Doppelstunden à 90 Minuten. „Dadurch können wir im Unterricht entspannter arbeiten“, berichtet die Mathelehrerin Christine Hecker. Die Schüler müssten zudem nur noch dreimal täglich den Raum wechseln, was zu wesentlich weniger Unruhe führe. Und nicht zuletzt bräuchten sich die Lehrer weniger Namen merken: „Statt 180 habe ich es täglich nur noch mit 90 Gesichtern zu tun.“ Die Arbeitszufriedenheit im Kollegium sei gestiegen, auch Schüler lernten entspannter, wie Umfragen zeigten.

Unruhige Schüler können Lehrer in die Nervenkrise treiben: „Viele Lehrer fühlen sich überfordert, weil sie nicht wissen, wie sie mit verhaltensauffälligen Schülern umgehen sollen“, meint Medizinerin Zühr-Gäbelein. Diese Belastungen können dann in Depressionen und Versagensängste münden – das sogenannte Burn-out-Syndrom.

Das Arbeitsmedizinische Zentrum in Berlin stellt den Lehrern deshalb im Rahmen eines Modellprojekts sogenannte Kompetenztrainer zur Seite. Das sind Schulpsychologen, die Tipps zum Umgang mit vorlauten Schülern geben.

Der Autor des Gutachtens, Wolfhard Kothe, bemängelt, dass oft nicht einmal klar sei, welche Gefahren in welchem Klassenraum lauern. Deshalb sei eine flächendeckende und regelmäßige Gefährdungsbeurteilung der erste Schritt, um Lehrer vor vorzeitiger Invalidisierung zu schützen. Während in der freien Wirtschaft 70 Prozent der Unternehmen solche regelmäßigen Analysen vornehmen, sei dies im Bereich Schule in keinem Bundesland der Fall.

Gesamtschullehrerin Susanne Reiß schaut sich als Mitglied im Personalrat der GEW regelmäßig am Arbeitsplatz der Kolleginnen und Kollegen um. „Viele Direktoren wissen nicht einmal, dass sie einen Arbeitsschutzbeauftragten benennen müssen. Und wenn, dann fällt der zwischen zwei Vertretungsstunden durch“, erzählt sie. Ihrer Ansicht nach müsste es in jeder Schule einen Ansprechpartner geben. Erst dann würden sich Lehrer nicht mehr alleingelassen fühlen.