Konkurrenz für Angela Merkel

Für die Wiederbelebung der EU-Verfassung braucht die Kanzlerin Frankreich. Zugleich jedoch beginnt nun der Wettstreit um die Führungsrolle in Europa

Sarkozy sprach stets von einem „Minivertrag“ der EU, um zu untermauern, dass die Franzosen kein zweites Mal zu den Urnen gerufen werden müssten

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Frankreich ist zurück auf der europäischen Bühne. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft führte seit Januar nur zögernd Regie, weil sie ohne einen wichtigen Hauptdarsteller auskommen musste. Nun kann Angela Merkel sich an die Neufassung des Stückes wagen – an die Europäische Verfassung. Ob allerdings Nicolas Sarkozy in diesem Drama den heldenhaften Retter der gemeinsamen Sache oder den napoleonischen Vorkämpfer einer zu neuem nationalem Selbstbewusstsein gelangten Nation geben wird, ist noch völlig offen. Nur eines wird er ganz sicher nicht tun: Angela Merkels großes Projekt solidarisch und unauffällig im Hintergrund unterstützen.

Der sozialistische Europaabgeordnete und Verfassungsexperte Jo Leinen sagte der taz: „Der von Sarkozy angekündigte Minivertrag ist inakzeptabel. Da muss die deutsche Ratspräsidentschaft hart bleiben. Europa braucht nicht nur besser funktionierende Institutionen, sondern mehr gemeinsame Politik. Auf eine europäische Energiepolitik zum Beispiel können wir nicht verzichten.“ Mit dem neuen starken Mann in Frankreich habe Angela Merkel einen Mitwettbewerber bekommen, „der ebenfalls eine Führungsrolle in Europa will und Profil hat“.

Leinens konservativer Kollege Elmar Brok hingegen, der sich ebenfalls für die Wiederbelebung der Verfassung einsetzt, ist optimistischer. „Nun gibt es Hoffnung, dass man die Substanz des Verfassungsvertrags erhalten kann. Nach meinem Verständnis hat Sarkozy akzeptiert, dass man den ersten und den zweiten Teil unverändert übernimmt. Angela Merkel hat nun einen starken Bündnispartner.“ Sarkozys Verhältnis zur deutschen Kanzlerin sei sehr konstruktiv. Frankreichs Rolle in der EU werde durch die Person des neuen Präsidenten gestärkt. Er sei „kein leichter Partner, aber ganz sicher kein Antieuropäer, ein international denkender Mann.“

Wie man Sarkozys im Wahlkampf sehr konkret vorgetragene Pläne zur Verfassungsreform zu interpretieren hat, darüber gehen die Ansichten also weit auseinander. Er selbst sprach stets von einem „Minivertrag“, um damit zu untermauern, dass die Franzosen kein zweites Mal zu den Urnen gerufen werden müssten. Nach der Ablehnung der Verfassung per Referendum im Mai 2005 war allen Kennern der französischen Innenpolitik klar, dass eine weitere Volksabstimmung allenfalls Trotzreaktionen auslösen würde.

Sorgen machen sich Elmar Brok und Jo Leinen – wie viele Franzosen auch – über den neuen Kurs in der europäischen Innen- und Migrationspolitik. „Er kann da keine Alleingänge unternehmen“, warnt Brok. „Auch im Kampf gegen internationale Verbrechen muss die Balance gewahrt bleiben, und die Freiheitsrechte des Einzelnen sind zu schützen.“ Und Jo Leinen ergänzt: „Die Demokraten in Europa müssen aufpassen, dass bei allen Sicherheitsbedürfnissen nicht die Diskriminierung zunimmt.“

Sarkozys Haltung zum Türkeibeitritt hingegen bewerten Linke und Rechte unterschiedlich. Martin Schulz, Fraktionsvorsitzender der Sozialisten im Europaparlament, mahnte, die der Türkei gemachten Zusagen müssten eingehalten werden. Wie Angela Merkel befürwortet Sarkozy eine „privilegierte Partnerschaft“ anstelle der Vollmitgliedschaft, über die derzeit verhandelt wird. Konservative Europapolitiker jubelten gestern in Brüssel, die CDU habe endlich einen starken Bündnispartner in dieser Frage. Kommissionspräsident Barroso allerdings wies in einer ersten Reaktion auf das Wahlergebnis den neuen Präsidenten ungewöhnlich deutlich in die Schranken: „Ich empfehle allen Mitgliedsstaaten, das Ende der Beitrittsverhandlungen abzuwarten, bevor sie eine endgültige Entscheidung treffen“, sagte er.

Sarkozy soll auch an der für nächstes Wochenende von Barroso angeregten Verfassungsklausur nicht teilnehmen. Das Treffen ist zu einer Veranstaltung der „Dreierpräsidentschaft“ aus Deutschland, Portugal und Slowenien plus Kommissionspräsident plus Parlamentspräsident heruntergestuft worden. Damit soll euroskeptischen Ländern wie Polen die Sorge genommen werden, ihre Argumente würden von einem wieder lauter dröhnenden deutsch-französischen Motor übertönt.