Die roten Elefanten wittern Morgenluft

Ségolène Royals Kandidatur wurde weniger vom PS-Apparat als von ihrer Parallelstruktur „Ségosphère“ getragen. Mit der Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen beginnt der Kampf um die Zukunft der Sozialistischen Partei

PARIS taz ■ Die Kandidatin trägt Weiß. Aufmunternd lächelnd steht sie vor ihren AnhängerInnen. Als wäre sie die Siegerin. Dabei gesteht Ségolène Royal gerade, nur drei Minuten nach Schließung der Wahllokale, ihre Niederlage ein. Vor tausenden von AnhängerInnen. Die meisten unter 30. Fast alle Mitglieder der „Ségosphère“ – der Parallelstruktur der PS, die ihren Wahlkampf organisiert hat. Bis zuletzt haben sie trotz schlechter Umfragen an einen Sieg geglaubt. Jetzt rufen sie „Merci Ségolène!“ und tupfen sich Tränen aus den Augen. Ihre Kandidatin hat honorable 46,94 Prozent der Stimmen bekommen. Jetzt spricht sie ihnen von der Tribüne aus Mut zu. Sagt: „Bleibt mobilisiert.“ Und versichert: „Etwas hat sich in diesem Land geändert. Das wird bleiben. Es wird Früchte tragen.“

Royal ist an diesem Wahlabend das Gegenstück zu ihrem Genossen Lionel Jospin. Der hatte die Präsidentschaftswahlen 2002 verloren. Schon im ersten Durchgang. Und wenige Minuten nach Verkündung des fatalen Ergebnisses, bei dem er von einem Rechtsextremen überflügelt wurde, gab Jospin nicht nur seine Wahlniederlage zu, sondern zog sich gleich „komplett“ aus der Politik zurück. Den Widerstand gegen Jean-Marie Le Pen musste die PS ohne ihre Führungsfigur organisieren. Royal dagegen will standhalten. Die Frau, die vorerst nur Regionalpräsidentin im westfranzösischen Poitou-Charentes ist und keine Führungsposition im PS-Apparat hat, bietet an diesem Wahlabend ihre Dienste für kommende Aufgaben an.

Fünf Minuten später ist das versteinerte Gesicht eines PS-„Elefanten“ auf den TV-Schirmen zu sehen. Dominique Strauss-Kahn spricht von einer „sehr schweren Niederlage“. Die Partei müsse sich nun „neu gründen“. Und bietet ebenfalls seine Dienste an. Für ihn ist Royal zehn Minuten nach der Wahl bereits Vergangenheit. Endlich. Strauss-Kahn ist einer der beiden Männer, die im vergangenen November bei den parteiinternen Vorwahlen gegen Royal verloren haben. Die Basis wollte weder ihn, den Exwirtschaftsminister und rechten Sozialdemokraten, noch Laurent Fabius, den Expremierminister und Neoantiliberalen, der im Mai 2005 den sozialistischen Widerstand gegen die EU-Verfassung angeführt hatte. Die Basis wollte die Frau „aus der Provinz“. Die kein Apparatschik ist. Eine andere Sprache spricht. Und tatsächlich „partizipative Demokratie“ praktiziert.

Die Elefanten haben Royals Kandidatur nie wirklich anerkannt. Im Wahlkampf waren sie abwesend oder warfen der Kandidatin Knüppel in den Weg. Das begann mit sexistischen Bemerkungen à la „Und wer kümmert sich um die Kinder?“, ging weiter mit vielfach wiederholten Vorwürfen über Royals angebliche „Inkompetenz“, ihre „Autorität“ und ihren „Egotrip“. Und es gipfelte in öffentlichen Aufrufen aus der Umgebung von Strauss-Kahn zur Wahl des Kandidaten der rechtsliberalen UDF.

Einzelne Spitzenmitglieder der PS, darunter der jospinistische PS-Wirtschaftsfachmann Besson und der ebenfalls jospinistische Exminister Allègre, liefen gegen Ende des Wahlkampfes gar in das Lager von Sarkozy über. Andere, darunter Exminister Kouchner und Expremierminister Rocard propagierten noch vor dem ersten Wahldurchgang eine Allianz im Zentrum. Nur wenige Spitzenmitglieder der PS haben Royal begleitet und unterstützt. Allen voran Exkulturminister Jack Lang. Gefolgt von zwei ehemaligen Präsidentschaftskandidaten, die 2002 links von Jospin angetreten waren: dem Nationalisten Jean-Pierre Chévènement und der schwarzen Abgeordneten aus Guyana, Christiane Taubira.

Nie zuvor war ein PS-Präsidentschaftskandidat so einsam. Royal, die von der Basis gewählte Bewerberin um das höchste Amt im Staat, führte ihren Wahlkampf nicht nur ohne den Apparat der PS – sondern in vielen Fällen gegen diesen. Statt von der Partei wurde sie vor allem von ihrer Parallelstruktur „Ségosphère“ getragen. Darin sind auch viele organisiert, die keinen sozialistischen Stallgeruch haben.

Nicht erst am Wahlabend fiel auf, dass manche Elefanten der PS geradezu erleichtert reagierten, als Royal den Einzug in den Élysée-Palast verpasst hatte. Vor allem jene Genossen, die schon lange auf eine Gelegenheit zur Neuorganisation ihrer Partei warten. Die eine sozialliberale Wende propagieren. Und die dafür als Beispiele mal die deutsche SPD, mal den Italiener Prodi nennen. Anders als andere sozialdemokratische Parteien in Europa hat die PS nie eine Abkehr von der Kapitalismuskritik in ihrem Programm, nie ein „Godesberg à la française“ vollzogen. Für Parteien wie die deutsche SPD macht das die PS schwer berechenbar.

Seit Sonntagabend halten die Herren der PS die Messer gezückt. Was den rechten Parteiflügel um Strauss-Kahn stärkt, ist die Schwäche ihrer linken Partner. Wegen ihres miserablen Abschneidens im ersten Wahldurchgang können weder Grüne noch Kommunisten der PS jetzt weiterhelfen. Gestern Abend organisierte die Partei ihre erste Krisensitzung nach der dritten präsidentialen Wahlniederlage in Folge. Bis zu den Parlamentswahlen bleiben der Partei noch vier Wochen. Das ist wenig Zeit.

DOROTHEA HAHN