Politik von ganz oben für Leute ganz oben

Nicolas Sarkozys Programm nutzt den reichen 10 Prozent der Franzosen. Doch wegen seiner rechtspopulistischen Positionen hat auch die Unterklasse den konservativen Kandidaten gewählt

Bilanz der ersten Protestnacht nach der Wahl Nicolas Sarkozys: 592 Festnahmen, 730 brennende Autos – bei der Zahl in Brand gesetzter Fahrzeuge wurden damit Werte aus der Zeit der dreiwöchigen Vorstadt-Unruhen im Herbst 2005 erreicht. Auch mehrere Schulen wurden verwüstet. Am Pariser Place de la Bastille ging die Polizei in der Wahlnacht mit Wasserwerfern gegen die 5.000 Demonstranten vor FOTO: FRÉDÉRIC SAUTEREAU/OEIL PUBLIC

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Hurra, wir sind im Élysée“, jubelt der Mann. Mit der Weinflasche in der Hand torkelt er über den Place du Brésil im vornehmen 17. Arrondissement. Vor Monaten stand hier noch sein Zelt neben denen anderer Obdachloser. Heute ruft er den Passanten zu: „Bald bekommen wir alle Wohnungen!“ Und fügt hinzu: „Natürlich nur die Franzosen.“

Eine Stunde zuvor ist ist Nicolas Sarkozy mit 53,05 Prozent zum französischen Präsidenten gewählt worden. Im Wahlkampf hat er erklärt, dass er Frankreich zu einem „Land von Wohnungsbesitzern“ machen will. Vielleicht muntert diese Ankündigung den Obdachlosen auf. Oder ist es Sarkozys Hilfsangebot an alle, „die Angst haben“ und, „Opfer sind“? Und die vielen Anleihen, die der Konservative bei der Front National gemacht hat? Etwa die Einrichtung eines „Ministeriums für Einwanderung und nationale Identität“, die jenen, die von „nationaler Präferenz“ träumen, suggeriert, dass sie Vorteile haben könnten. Gerade wenn sie am unteren Rand der Gesellschaft leben.

Dabei ist „Sarko“ der erste Präsident der V. Republik, der von ganz oben kommt. Er ist in Neuilly-sur-Seine aufgewachsen, einer der reichsten Gemeinden Frankreichs. Dort wurde er mit 28 Jahren Bürgermeister. Mit Sarkozy haben die reichen Vororte westlich von Paris gesiegt. Verloren haben die armen, nördlich, östlich und südlich von Paris gelegenen Banlieues, wo im Herbst 2005 wochenlange Jugendunruhen tobten. Dort haben an diesem Sonntag, an dem der damalige Innenminister zum Präsidenten gewählt wurde, Jugendliche wieder Wut im Bauch: Hunderte Autos gingen in Flammen auf.

Sarkozy kennt die Bedeutung der 100-Tage-Regel. Er hat versprochen, schon am Anfang seines Mandats große Zeichen zu setzen. Dazu gehören Steuernachlässe, mit denen er den Wohnungsbesitz fördern will. Auch Vermögensteuer, Unternehmensteuer und Erbschaftsteuer sollen gesenkt werden – um eine „gerechtere soziale Verteilung“ zu erreichen. Die Streichung der Erbschaftsteuer wird den Staat um 7,3 Milliarden Euro Einnahmen bringen. Profitieren werden rund 10 Prozent der begütertsten ErbInnen. Die neuen „Obergrenzen“ für Steuern werden ebenfalls nur den 90.000 bestverdienenden Haushalten nutzen. Die will Sarkozy noch im Sommer von 60 auf maximal 50 Prozent senken.

Schnell vorgehen will der Neue auch auf dem Arbeitsmarkt. Um den steht es nach Sarkozys Analyse schlecht. Er hat „Vollbeschäftigung“ binnen fünf Jahren versprochen. Gemeint ist damit eine Arbeitslosenquote von 5 Prozent. Um das zu erreichen, will Sarkozy die Arbeit von „staatlichen Hemmnissen“ befreien: Die Überstundenbezahlung soll auf 25 Prozent aufgestockt werden, Verdienste aus Mehrarbeit sollen für Beschäftigte wie für UnternehmerInnen abgabenfrei sein. Zudem will Sarkozy einen Einheitsarbeitsvertrag einführen, der Kündigungsfristen auflockert und Kündigungsprozeduren erleichtert. Arbeitslose, die mehr als zwei Jobangebote ablehnen, sollen mit Kürzung oder Streichung der Unterstützung bestraft werden.

Arbeitsmarktpolitik à la Sarkozy heißt Abbau von Rechten und Gesetzen. Den Rest, so sein Credo, erledige der freie Markt. Zwar weiß der neue Präsident, dass das Lohnniveau in Frankreich besonders niedrig ist. Doch er erwartet, dass sich dies mit den „Anstrengungen“ und der „Arbeitsbereitschaft“ jedes Einzelnen ausgleichen wird, getreu seinem Slogan „Mehr arbeiten, um mehr zu verdienen“.

Sehr schnell will Sarkozy auch die gewerkschaftlichen Einflussmöglichkeiten beschneiden. Unter anderem mit einem „Mindestdienst“, der etwa bei Eisenbahnerstreiks garantiert, dass trotzdem Züge verkehren. Nach dem britischen Modell möchte Sarkozy auch Arbeitsniederlegungen erschweren. Ursprünglich waren beide Maßnahmen schon für die Zeit „vor der Sommerpause“ angekündigt. Angesichts des zu erwartenden gewerkschaftlichen Widerstandes aber hat der Präsident nun einen Rückzieher gemacht: Er ist bereit, erst einmal mit den SozialpartnerInnen zu verhandeln. Die neue Deadline für den Mindestdienst ist Ende 2007.

Vorerst jedoch ist Frankreichs neues Staatsoberhaupt erst mal im Urlaub – mit „unbekanntem Ziel“. Am 16. Mai wird der scheidende Jacques Chirac Sarkozy zur Amtsübergabe empfangen. Gleich anschließend wird der Neue seine neue Regierung vorstellen. Die wird bis Mitte Juni erst mal vorsichtig agieren: Im Juni sind Parlamentswahlen. Um sicherzugehen, dass Sarkozy auch im Parlament eine starke Mehrheit bekommt, muss der neue Präsident noch ein paar Wochen lang diplomatisch bleiben.