TAUCHGANG: Alt? Nee, nee
Ein U-Boot steigt aus den Tiefen des Engelbeckens auf. Es glänzt in diesem Kriegsgrau. Es ist ein ferngesteuertes. Ich sitze am Ufer und starre auf die Beine einer ungleich älteren Frau, die in ausreichender Entfernung neben mir sitzt. Es liegt an den Strumpfhosen; sie hat sich sehr modische, verzierte geleistet und diese mit blauen Chucks kombiniert. Eine Siegerinnenmischung.
Die Frau notiert in einem Arbeitsbuch Portugiesisch. Am Rand des Engelbeckens flattern zwei, drei Enten auf; vielleicht haben sie die Torpedos gemerkt. Ich denke über meine ausgegangenen Haare nach. Ob sie jemals zurückkehren werden. Vorhin hatte ich in einem verspiegelten Aufzug gesehen, dass da nichts mehr zu machen war. Daraufhin dachte ich, dass ich die künstliche Welt, in der ich lebe und die ich samt mir für zeitlos jung hielt, also so ungefähr für immer 29, endlich zusammenfallen sollte. Das Begehren nach weitaus jüngeren Frauen sollte eingestellt werden. Konzertbesuche abgesagt, das Singleleben bei Gelegenheit aufgegeben werden. Ich schaue noch einmal auf die Beine der Frau, die noch eine höhere Zahl vor der 9 stehen haben müsste, als ich sie schon habe. Würde ich hier und jetzt damit anfangen? Mein Leben zu ändern? Nein, würde ich nicht.
Es ist sogar so, dass meine kleine Vormidlifekrise langsam abklingt. Natürlich gibt es Irritationen. Nachts auf dem Fahrrad verspüre ich immer wieder den Impuls, das Fernlicht anzuschalten. Portugiesisch ist keine Sprache für mich. Das Engelbecken hat sich verdammt rausgeputzt, und kürzlich habe ich sogar den Sinn dieser kleinen, lärmenden Fontänen verstanden. Sie sollen das Wasser mit Sauerstoff versorgen. Ich lächle den Jungen an, der rechts neben mir steht und das U-Boot dirigiert. Er hat noch viel vor sich. Jetzt jedenfalls schaltet er auf Tauchgang. Und dann Schleichfahrt. Eine gute Idee.
RENÉ HAMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen