BERLINER PLATTEN
: Kalkbrenner ist wieder da, und Nhoah weiß nicht ganz, wo er hinwill

Wäre Paul Kalkbrenner Singer/Songwriter, könnte man die Songs seines Albums „Icke Wieder“ hübsch auseinandernehmen, die Texte zerpflücken und auf seelische Spurensuche gehen. Nun ist Paul Kalkbrenner aber DJ; er programmiert Tracks und spart sich die Texte gleich ganz. Was wohl auch besser ist: Wäre der 33-jährige Berliner nach rasantem Aufstieg und anschließender Popstarkrise wohl ein allzu dankbares Opfer für küchenpsychologische Analysen. Mit der quasi-autobiografischen Rolle in „Berlin Calling“, in der er den im Nachtleben abstürzenden DJ Ickarus spielte, trug Kalkbrenner vor drei Jahren entscheidend zum Ruf Berlins als Techno-Hauptstadt bei, stieg auf zum Star-Plattenaufleger und verkaufte das zum Film gehörige Soundtrack-Album in einer für das Techno-Genre ungehörten Stückzahl im sechsstelligen Bereich. Aber mit der Bekanntheit handelte sich Kalkbrenner auch ein paar der Probleme ein, die er im Film darstellt, und zog sich eine Zeit lang zurück. Dass man ihn vermisst, das wurde spätestens Ende des vergangenen Jahres klar, als das Album seines Bruders Fritz als Sensation gehandelt wurde. Doch nun ist er selbst wieder zurück und gibt aber auch gar keine Möglichkeit zur fröhlichen Autobiografisierung des neuen Materials. Nicht nur tragen die Tracks garantiert bezugsfreie, pennälerscherzartige Titel mit Berliner Färbung wie „Schmökelung“ oder „Jestrüpp“, sie sind auch musikalisch eindeutig funktional ausgerichtet und überraschend überraschungsarm. Kalkbrenner hat die Pause nicht zu einer Neuorientierung genutzt, sondern demonstriert wieder einmal vor allem sein großes Talent, ein breites Spektrum abzudecken, ohne beliebig zu werden. Meistens pluckern die Stücke freundlich dahin, ohne allerdings allzu esoterisch zu werden, manchmal pumpen sie auch etwas heftiger, aber tun garantiert niemandem weh. Das Electro-Klangdesign ist meist weich und heimelig, aber Kalkbrenner gelingt es trotzdem, die Tracks in einer geschmeidigen Spannung zu halten. Die Auszeit, so viel Interpretation sei dann doch erlaubt, hat Paul Kalkbrenner offensichtlich gutgetan.

Wer aber musikalisches Neuland betreten will, sollte sich lieber an Nhoah halten. Der wurde vor 50 Jahren in Berlin geboren, hat mal für Romy Haag getrommelt, Filmmusik komponiert, Bands von den Pogues bis Mia produziert, Kunst gemacht und schließlich nun doch noch sein erstes Solo-Album herausgebracht. Für „Tangowerk“ ist er mit befreundeten Musikern nach Buenos Aires gereist, um dort einheimische Größen zu treffen und gemeinsam Stücke zu entwickeln. Das Ergebnis ist gewagt. Dramatischer Tango wird unterlegt mit böse schubbernden elektronischen Beats. Umgekehrt wird auch mal ziemlich stupider Electro-Punk mit einem verspielten Bandoneon verziert. Ganz absurd gerät die Unternehmung schließlich, als auch noch die fracktragenden Berlin Comedian Harmonists mit modischen 80ies-Synthies unterlegt werden. So ist „Tangowerk“ vor allem der Beweis, dass nicht alles, was gemacht werden kann, auch unbedingt gemacht werden sollte. THOMAS WINKLER

■ Paul Kalkbrenner: „Icke Wieder“ (Paul Kalkbrenner Musik/Rough Trade), live: 4. + 5. 6. Wuhlheide

■ Nhoah: „Tangowerk“ (R.O.T./ Universal)