„Ich habe ein Video“

URTEIL Das Göttinger Amtsgericht ahndet eine angebliche Attacke auf einen Polizisten aus Mangel an Beweisen nicht. Der Beamte hatte einem 23-Jährigen vorgeworfen, nach ihm geschlagen zu haben

„Es passiert halt, dass man auch mal unberechtigt in den Fokus gerät“

RICHTER LARS MALSKIES

Mannschaftswagen vor und hinter dem Gerichtsgebäude, penible Personen- und Taschenkontrollen wie bei einem Terroristenprozess: Unter großem Sicherheitsaufwand hat das Amtsgericht Göttingen am gestrigen Donnerstag gegen einen 23-Jährigen verhandelt. Dem jungen Mann war versuchte Körperverletzung und Widerstand gegen Staatsbeamte vorgeworfen worden. Das Verfahren endete mit einem Freispruch – aus Mangel an Beweisen.

Am 10. April dieses Jahres hatten etwa 50 Demonstranten mit Sitzblockaden die Abschiebung eines Somaliers verhindert. Beamte der Göttinger Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) waren Augenzeugen zufolge mit massiven Schlägen und Tritten, mit Tränengas und Hunden gegen die Unterstützer des Flüchtlings vorgegangen.

Rund ein Dutzend Menschen wurden bei dem Einsatz verletzt, zwei von ihnen waren zeitweise ohne Bewusstsein. Es gab außerdem mehrere Festnahmen. Der ruppige Einsatz hatte ein Nachspiel im niedersächsischen Landtag. Zahlreiche Organisationen verlangten die Auflösung der BFE.

Moritz D., einer der Festgenommenen, erhielt wenige Wochen später einen Strafbefehl über 30 Tagessätze: Er soll am fraglichen Tag bei Rangeleien an einer Polizeikette zwei Mal mit der Faust nach einem Polizisten geschlagen, ihn aber Dank dessen schneller Reaktion nicht getroffen haben. Der Beschuldigte legte Widerspruch ein – deshalb kam es gestern zur Hauptverhandlung.

Der angeblich betroffene Beamte blieb als geladener Zeuge bei seiner Darstellung: Es sei eindeutig der Angeklagte gewesen, der versuchte habe, ihn mit der Faust an den Kopf zu schlagen. „Wenn die Schläge getroffen hätten, wäre ich am Kopf verletzt worden“, sagte der Polizeikommissar.

D.s Verteidiger Rasmus Kahler zog daraufhin seinen Trumpf aus dem Ärmel: „Ich habe ein Video“, verkündete er. Zwanzig Minuten begutachtete das Gericht den seinerzeit von der Polizei selbst gedrehten Film sowie einige ebenfalls von Kahler beigebrachte Fotos. Auf dem Material ist im Gedränge ein zweiter junger Mann zu erkennen, zwar von ähnlicher Statur und Haarfarbe wie der Angeklagte, doch anders als dieser ohne Rucksack und mit weißen statt dunklen Schuhen bekleidet.

„Aus meiner Sicht ist das eine Sache mit drei XXX“, konstatierte Richter Lars Malskies. Möglicherweise habe der Zeuge die ihn attackierende Person verwechselt: Deshalb sei auf Freispruch zu entscheiden. Zu D. gewandt sagte Malskies abschließend: „Es passiert halt, dass man auch mal unberechtigt in den Fokus gerät.“ REIMAR PAUL