Im falschen Film

Hans-Jürgen Syberberg – ein altersmilder Künstler aus Deutschland. Das Irrationale interessiert den umstrittenen Regisseur nicht mehr, erzählte er am Montag im Werkstattgespräch, und auch von Hitler wolle er nichts mehr wissen

Am Anfang war Hitler ein Kinderspiel. Hans-Jürgen Syberberg funktioniert mit Freunden im Scherz das Puppentheater seiner Tochter zum Historientheater um, der Kasper als Hitler, Göring, Goebbels und Eva Braun spielen auch mit. „Und da dachte ich: ich muss einen Hitler-Film drehen.“ So erzählte Syberberg am vorgestrigen Abend im Prater der Volksbühne die Ursprungslegende zu einem der nachmals umstrittensten deutschen Filme der Siebzigerjahre. Die Regisseure Christoph Hochhäusler („Falscher Bekenner“) und Nicolas Wackerbarth hatten Syberberg eingeladen zu ihrer Veranstaltungsreihe „Revolver live“, einem Seitenprojekt der von ihnen herausgegebenen Filmzeitschrift Revolver, die in Werkstattgesprächen und Nachdrucken wichtiger Texte Fragen zur Praxis des Filmemachens stellt.

Als ein Werkstattgespräch dieser Art war auch die Begegnung mit Hans-Jürgen Syberberg geplant. Am Tag zuvor hatte die Volksbühne, einen sonnigen Sonntag lang, im großen Haus den selten – und im deutschen Fernsehen noch nie – zu sehenden siebeneinhalbstündigen „Hitler – Ein Film aus Deutschland“ gezeigt. Das Publikumsinteresse war nicht gerade überwältigend. Auch im Prater sind die Reihen eher schütter gefüllt. Auf technische Aspekte des Hitler-Films zielen die ersten Fragen. Was die Filmemacher interessiert, ist der Antirealismus des Syberberg’schen Werks dieser Phase. Das ist insofern spannend, als sich die „Berliner Schule“, der sich das an der Münchner Filmhochschule entstandene „Revolver“-Projekt inzwischen ausdrücklich attachiert, ganz im Gegenteil einem wenn auch avancierten Realismus verschrieben hat.

Syberberg hat seinen „Hitler“ nicht an Originalschauplätzen, sondern im Studio gedreht. Es gibt, mit einer winzigen Ausnahme, keine bewegten Originalaufnahmen von Hitler. Seine Rolle übernehmen wechselnde Darsteller, auch Puppen, ohne alle Prätention zur Mimikry. Hitler im Bunker zu zeigen, das kommt nicht in Frage, so heißt es im Film, bei dem – eine ironische Pointe der Filmgeschichte – der spätere Führerbunkerexperte Bernd Eichinger als Produktionsleiter tätig war.

Syberbergs Bilder sind durchweg in mehrere Ebenen geschichtet, bestehen aus quasi-installativen Tableaus, die die statische Kamera aus einiger Distanz festhält. Übervoll mit Requisiten ist die Studio-Bühne, auf der sich die Darsteller bewegen. Wabernde Trockeneisnebel entziehen den Bildern den festen Boden und per Frontprojektion auf den Hintergrund geworfene riesige Dia-Bilder, von Gustave Doré bis Caspar David Friedrich, aber auch Fotos, vom Obersalzberg zum Beispiel, weiten den filmischen Kunstraum entwirklichend ins Monumentale. Dazu hört man unentwegt Nazi-Originaltöne, Ausschnitte aus Reden, aber auch Musik, das Horst-Wessel-Lied, sehr viel Wagner.

Entstanden ist diese Schichtungs- und Verfremdungsästhetik, wie Syberberg erläutert, aus Mangel an Geld. Zur Technik der Frontprojektion, die den Riss zwischen Darsteller auf dem Bühnenvordergrund und dem Hintergrund-Diabild stets sichtbar hält, kam er eher zufällig. Allerdings stellt sich im Gespräch bald heraus: Syberberg selbst hat mit dieser Ästhetik längst abgeschlossen. Er hat, gesteht er, die Volksbühnenvorführung seines eigenen Films verlassen, weil er mit der Überfülle der Bilder und Töne nichts mehr anzufangen wusste.

Für die „Revolver“-Fragesteller, die der radikale Eigensinn von Syberbergs Filmen aus dieser Periode fasziniert, ist das Bekenntnis sichtlich eine Enttäuschung. Und auch sonst hat Syberberg die Positionen, derentwegen ihn der deutsche Kulturbetrieb einst zu hassen liebte, offenbar zu guten Teilen geräumt. Für das Irrationale interessiere er sich heute nicht mehr so, sagt er eher nebenbei. Dabei war es gerade Syberbergs Insistenz auf Hitler als mythisch-irrationalem Faszinosum, die ihm die Lobeshymnen von Susan Sontag und Francis Ford Coppola und in Deutschland den Ruf des Gegenaufklärers einbrachte. An diesem Abend aber gab sich Hans-Jürgen Syberberg als altersmilder Künstler aus Deutschland. Irgendwie wähnte man sich im falschen Film. EKKEHARD KNÖRER

Ende Mai erscheint „Hitler – Ein Film aus Deutschland“ bei der Filmgalerie 451 erstmals auf DVD. Über Syberbergs aktuelles Gesamtkunstwerk, die Rekonstruktion des Guts seiner Eltern im vorpommerschen Nossendorf, informiert tagesaktuell seine Website www.syberberg.de, auf der auch der vollständige Hitler-Film als Stream abrufbar ist.