Zellen, Dioden, Mikroskope

NOBELPREISE Forschen ohne Interdisziplinarität ist heutzutage kaum noch möglich. Nicht zum ersten Mal wurden daher auch dieses Jahr WissenschaftlerInnen für einen Nobelpreis auserkoren, der nicht exakt zu ihrer Berufsbezeichnung passt. Weitaus seltener ist hingegen, dass Ehepaare sich einen Nobelpreis teilen: May-Britt und Edvard Moser sind das vierte Ehepaar, das diese Ehrung erhält. Frau Moser ist zudem auch erst die 44. weibliche Nobelpreisträgerin, bei den Männern sind es 882

Das menschliche Gehirn, früher von Biologen grob unterteilt in Klein- und Großhirn, später noch in rechte und linke Hirnhälfte, ist seit einigen Jahrzehnten begehrtes Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen. So wundert es nicht, dass der diesjährige Nobelpreis für Medizin drei Neurophysiologen verliehen wird. Der gebürtige US-Amerikaner John O’Keefe (74) und das norwegische Ehepaar May-Britt (51) und Edvard Moser (52) sind wegen ihren Forschungen zum Orientierungssinn vom Nobelpreiskomitee ausgewählt worden.

Schon 1971 entdeckte O’Keefe bei Tierversuchen, dass bestimmte Areale im Hirn einer Ratte aktiv werden, wenn sie sich an einem bestimmten Ort ihrer Behausung befindet, andere Areale, wenn sie ihren Standort wechselt. Sogenannte Platzzellen zeichnen im Hirn eine innere Karte des Umfelds. May-Britt und Edvard Moser forschten 1995 einige Monate zusammen mit O’Keefe am University College in London und entdeckten später im heimischen Trondheim eine andere Art von Hirnzellen, die sogenannten Rasterzellen.

Während die Platzzellen einzelne Punkte markieren, schaffen die Rasterzellen das Koordinatensystem dazu. Zusammen bilden diese Zellen den Orientierungssinn. Dass diese Hirnfunktion nicht nur bei Ratten, sondern auch bei Menschen vorhanden ist, konnten die drei Wissenschaftler ebenfalls belegen.

Aber nicht nur die geografische Lage von Orten könne gespeichert werden, berichtete May-Britt Moser. Auch Erinnerungen an Geschehnisse würden an die Ortsinformation geknüpft. So sei ein weit verbreitetes Phänomen zu erklären: In der Küche beschließt man, etwas aus dem Keller zu holen, hat dort aber vergessen, was man holen wollte. Die Wahrscheinlichkeit, so May-Britt Moser, dass man sich in der Küche wieder daran erinnern könne, sei groß.

Göran K. Hansson, Sekretär des Stockholmer Nobelpreiskomitees, sieht in den Untersuchungen der drei Forscher mehr als die Entdeckung eines biologischen GPS. Es sei „das erste Mal, dass wir eine höhere Hirnfunktion verstehen, eine, die bis zu unserem Bewusstsein reicht und zeigt, wie dieses in den Verbindungen zwischen den Nervenzellen verdrahtet ist“, erklärt Hansson gegenüber der dpa.

Die Forschungsergebnisse der drei Preisträger, die auch Psychologie studierten, deuten also auf den Wunsch hin, die Persönlichkeit eines Menschen mikroskopisch untersuchen zu können. Doch dieser Wunsch ist in manchen Teilen bereits Wirklichkeit geworden. Inzwischen werden in klinischen Versuchen bei Menschen Hirnschrittmacher eingesetzt, die mithilfe elektrischer Impulse Parkinson-Erkrankungen, Depressionen und Zwangsstörungen behandeln sollen. Die Entdeckung der Platz- und Rasterzellen war also erst ein Anfang. Schon jetzt knüpft man an die prämierten Forschungsergebnisse die Hoffnung, Alzheimer-Patienten helfen zu können. Diese leiden im Frühstadium ihrer Erkrankung häufig an Orientierungslosigkeit. In ferner Zukunft wäre es denkbar, diesen Funktionsausfall des Hirns reparieren zu können.

Heftig kritisieren indes Tierschützer die Forschung von O’Keefe und dem Ehepaar Moser. Die Tierschutzorganisation Peta erklärte, die Auszeichnung an Wissenschaftler, „die jahrzehntelang unzähligen Tieren fürchterliche Schmerzen zufügten“, stehe im Widerspruch zu den Werten des Nobelpreises. Der Schädel der Versuchstiere sei bei den Experimenten durchbohrt und ihr Gehirn durch giftige Injektionen vernichtet worden. Anschließend seien sie getötet worden, so Peta.

Die Sprecherin der norwegischen Tierschutzallianz Live Kleveland berichtet, dass die Preisträger bei ihren Experimenten Instrumente in die Köpfe von Ratten implantiert und dabei teilweise ihre Gehirne zerstört hätten. Man habe jahrelang vergeblich versucht, diese Experimente juristisch zu stoppen. Es sei traurig, dass solche Forschungen mit dem Nobelpreis belohnt würden. LUTZ DEBUS

Rot, grün, blau – das ist die Farbfolge, die zur Entwicklung der heutigen LED-Lampen führte. Die erste „light-emitting diode“ (LED) gab es zwar schon Anfang der 1960er Jahre. Zuerst nur rote, später kamen grün-leuchtende hinzu. Um weißes Licht zu erzeugen fehlten jedoch noch die blauen LED-Lampen. Dies gelang erst in den 1990er Jahren den beiden Japanern Isamu Akasaki und Hiroshi Amano sowie den in Japan geborenen US-Bürger Shuji Nakamura. Dafür erhalten sie dieses Jahr den Physik-Nobelpreis.

Mit ihrer Entdeckung war der Weg frei für helle und energiesparende Lichtquellen, die als Sparlampen zunehmend die bisher weit verbreiteten Glühbirnen ersetzen. Die Technik werde permanent verbessert und habe schon eine Lichtausbeute von 300 Lumen pro Watt erreicht, was etwa 16 gewöhnlichen Glühbirnen entspreche, sagte das Nobelpreiskomitee. Die Erfindung sei zwar erst 20 Jahre alt, teilte die Akademie mit. Doch sie habe es ermöglicht, „weißes Licht in einer völlig neuen Art zum Nutzen aller“ zu erzeugen. „Weiße Glühbirnen haben das 20. Jahrhundert erleuchtet, das 21. Jahrhundert wird von LED-Lampen erhellt“, sagte das Komitee weiter.

Da etwa ein Viertel des weltweiten Stromverbrauchs für Licht genutzt werde, trage die LED-Technik maßgeblich dazu bei, die Ressourcen der Erde zu schonen, ergänzt das Komitee. Auch der Materialaufwand sei für Leuchtdioden gering, da sie im Schnitt 100.000 Leuchtstunden halten, im Gegensatz zu Glühlampen mit 1.000 und Neonröhren mit 10.000 Stunden.

Nach Ansicht des Physikers Wolfgang Eberhardt ist die Entwicklung der LEDs auch für die Energiewende in Deutschland sehr bedeutend. Die hohe Effizienz der Lichtquellen sei „ein enormer Faktor, gerade wenn wir eben auch versuchen, dass Energiesystem umzubauen“, sagte der wissenschaftliche Leiter des Magnus-Hauses der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) in Berlin.

Es sei „unglaublich“ gewesen, zu hören, dass er auserwählt wurde, sagte Shuji Nakamura (60), als das schwedische Nobelpreiskomitee ihn während der Pressekonferenz in Stockholm anrief. Er forscht in Santa Barbara an der Universität von Kalifornien, so das er mitten in der Nacht geweckt wurde. Nakamura war nach seinem Elektronikstudium in einem sehr kleinen Unternehmen namens Nichia Chemicals in Tokushima angestellt. Dort wurden Leuchtstoffröhren hergestellt. Mit Nakamuras Erfindung, der blauen Leuchtdiode, machte das kleine Unternehmen Riesenumsätze. Entsprechend belohnt wurde er dafür nicht. Erst nachdem er in die USA gegangen ist, sprach ihm ein Gericht eine Summe von rund 8 Millionen Euro zu.

Isamu Akasaki (85) und Hiroshi Amano (54) haben in den 1990er Jahren unabhängig von Nakamura versucht, blaue LEDs herzustellen. Noch gab es die blauen Leuchtdioden nicht. Es hieß damals, diese schaffe man nicht mehr „innerhalb des 20. Jahrhunderts“, sagte Akasaki. „Einige haben damit aufgehört. Aber ich habe nicht daran gedacht … Ich habe nur das getan, was ich wollte“, sagte der Physiker, der damals zusammen mit seinem Doktoranden Amano an der Universität von Nagoya arbeitete. „Zum Glück hatte ich immer Kollegen, die mich dabei unterstützt haben. Das hätte ich nie allein geschafft.“

LEDs bestehen aus mehreren Schichten von halbleitenden Materialien, durch die positiv geladene Stellen und negativ geladene Teilchen fließen, sobald Strom angelegt wird. Treffen beide aufeinander, entsteht Licht. Die Schwierigkeit bestand darin, die relativ kurzwelligen blauen Strahlen zu erzeugen. Alle drei Physiker entschieden sich dafür, als Material Galliumnitrid-Kristalle zu verwenden.

Neben den LEDs entwickelten die Forscher noch einen blauen Laser. Mit Hilfe dieser Technik konnte eine wesentlich höhere Speicherkapazität als auf einer DVD erreicht werden, was überhaupt erst die Blue-ray-Disc ermöglichte. Die Nobelpreise, die am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel übergeben werden, kommen zeitlich passend. Denn 2015 habe die Vereinten Nationen zum Internationalen Jahr des Lichts ausgerufen. WLF (mit dpa und ap)

Im ersten Moment habe ich gedacht, das ist vielleicht ein Scherz. Aber ich habe die Stimme des Komiteevorsitzenden erkannt. Und dann habe ich langsam realisiert, dass es kein Scherz ist, dass es tatsächlich die Wahrheit ist.“ Stefan Hell sagte, was man in solchen Situationen wohl so sagt. Der 51-jährige, in Göttingen forschende Biophysiker ist am Mittwoch zu einem der diesjährigen Nobelpreisträger für Chemie ernannt worden. Gemeinsam mit ihm wurden die US-Wissenschaftler Eric Betzig und William Moerner ausgezeichnet. Die Arbeit der drei Preisträger sei „bahnbrechend“, urteilt das Nobelpreiskomitee.

Unabhängig voneinander haben die drei die hochauflösende Fluoreszenzmikroskopie entwickelt, mit der sich selbst allerkleinste Moleküle sichtbar machen lassen. Damit stießen sie weit in einen kaum für möglich gehaltenen Nanobereich vor. Bislang wurde angenommen, dass es für die Sichtbarmachung kleinster Materiebestandteile in der Mikroskopie eine natürliche unüberwindbare Grenze gibt. Der deutsche Physiker Ernst Abbe war 1873 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Auflösung niemals besser werden könne als die halbe Wellenlänge des Lichts – das sind etwa 200 Nanometer oder 0,2 Mikrometer. Kleinere Objekte ließen sich nicht mehr detailscharf abbilden.

Doch genau diese Auflösungsgrenze für optische Mikroskope haben die frisch gekürten Nobelpreisträger mit Hilfe fluoreszierender Moleküle durchbrochen. Es sei nun möglich geworden, dass die optische Mikroskopie selbst kleinste Materieteilchen sichtbar machen könne, erklärte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften. Dazu kommt, dass diese Methode auch am lebenden Objekt eingesetzt werden kann.

So gelinge es inzwischen, die Bewegungen einzelner Moleküle in einer Zelle zu verfolgen. Beispielsweise könnten nun Proteine mikroskopisch aufgespürt werden, die bei Alzheimer und anderen Krankheiten eine wichtige Rolle spielten.

Die Akademie würdigte zwei unterschiedliche Vorgehensweisen: Hell gelang es, mit zwei Laserstrahlen eine bessere Auflösung zu erreichen als die von Abbe postulierte Grenze. Der Trick bei dieser sogenannten Stimulated Emission Depletion-Mikroskopie (STED): Dem Strahl, der die Moleküle zum Fluoreszieren anregt, wird ein zweiter Strahl hinterhergeschickt, der die Moleküle sofort wieder abregt. Allerdings hat er in der Mitte ein Loch, so dass die Moleküle in einem bestimmten Bereich weiterhin leuchten. Seine Größe ist beliebig einstellbar. Auf diese Weise kann eine bis zu zehnmal höhere Auflösung erreicht werden als mit zuvor üblichen Mikroskopen. Mit der STED untersuchte Hell anschließend Nervenzellen und gewann neue Erkenntnisse über Hirnsynapsen. Betzig und Moerner arbeiteten getrennt an einer anderen Methode. Sie beleuchteten mit einem Strahl einzelne Moleküle mehrfach unterschiedlich lang. Diese Bilder übereinandergelegt ergaben ebenfalls Auflösungen von Nanoqualität.

Hell ist Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie und Honorarprofessor für Experimentalphysik an der Universität Göttingen. Er wurde 1962 im rumänischen Arad geboren. Nach dem Studium der Physik und der Promotion in Heidelberg 1990 forschte er unter anderem an der finnischen Universität Turku und an der britischen Universität Oxford. Seit 2003 leitet Hell auch die Kooperationsabteilung „Optische Nanoskopie“ am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg.

Der 54-jährige Betzig arbeitet als Leiter in einer Forschungseinrichtung am Howard Hughes Medical Institute in Ashburn im US-Staat Virginia. Der 61-jährige Moerner ist Professor an der Universität Stanford in Kalifornien. Er erfuhr bei einer wissenschaftlichen Konferenz in Brasilien durch einen Anruf seiner Frau von der Ehrung. Das Nobelpreiskomitee habe ihn dort zunächst nicht erreichen können, berichtete der US-Sender NBC. Die Nachricht von seiner Frau zu bekommen, sei aber „fast noch aufregender“ gewesen, sagte Moerner dem TV-Sender. Was man in solchen Situationen eben so sagt.

REIMAR PAUL