Gestörte Kommunikation

Der Streik bei der Telekom zeigt: Gewerkschaften müssen nicht zahnlos sein, solange sie neuralgische Punkte der modernen Wirtschaft lahmlegen können – und dazu gehören die Kommunikationsnetze

von RICHARD ROTHER

Alle Telefone stehen still, wenn dein starker Arm es will. Zumindest die der Deutschen Telekom. Die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, die morgen das Ergebnis der Urabstimmung bei der Telekom verkündet, bereitet sich jedenfalls schon intensiv auf einen Streik beim Branchenriesen vor. Mit dem Arbeitskampf will die Gewerkschaft verhindern, dass der Konzern 50.000 Arbeitsplätze auslagert – und die betroffenen Beschäftigten für deutlich weniger Geld länger arbeiten lässt. Zwar ist der mögliche Streik bei der im Lande wenig beliebten Telekom ein reiner Abwehrkampf der Gewerkschaften, dennoch zeigen die Streikankündigungen: Trotz Globalisierung und Flexibilisierung sind die Gewerkschaften nicht so zahnlos, wie sie oft erscheinen – wenn sie gut organisiert sind und neuralgische Punkte bestreiken können, die für das Funktionieren der modernen Wirtschaft unabdingbar sind. Kommunikationsnetze gehören dazu.

Allein die Drohung, die Kommunikationsinfrastruktur des G-8-Gipfels Anfang Juni im mecklenburgischen Heiligendamm lahmlegen zu können, wirkt nachhaltig. Mit einer solchen Streikaktion könnten sich die Gewerkschaften, die den Anti-G-8-Protesten bislang reserviert gegenüberstehen, doch noch als Protestler outen.

Und täten sie, was als Drohung im Raum steht, wäre dies sicherlich die effektivste Form des Protests: Alles Konzertieren, Campieren, Demonstrieren, Sich-auf-die-Straße-Setzen oder Rütteln am Absperrungszaun wäre dagegen – von der hohen Symbolkraft einmal abgesehen – eher eine Art Sandkastenspiel, dem die großen acht amüsiert zuschauen könnten.

Dennoch werden dies die deutschen Gewerkschaften vermutlich nicht tun. Eine Art Sabotage des Gipfels, der neben der EU-Ratspräsidentschaft das wichtigste Projekt dieses Jahres der Bundesregierung ist, kommt für die Gewerkschaften wohl kaum in Frage, dazu sind sie viel zu staatstragend. Denkbar wäre wohl allenfalls eine Störung der Fernsehübertragungen der Gipfeltage. Wer die staatstragende Haltung vorschnell als hasenfüßig abtut und sich über bierbäuchige Bratwurstessergewerkschafter am 1. Mai lustig macht, sollte einen ehrlichen Blick ins europäische Ausland werfen: Gern schauen deutsche Linke nach Frankreich oder Italien, weil dort die Gewerkschaften viel radikaler auftreten – die Arbeits- und Lebensbedingungen breiter Bevölkerungsschichten sind dort aber nicht besser als hier, eher im Gegenteil.

Wenn schon nicht G 8, was kann Ver.di bei der Telekom dann noch bestreiken? Die Privatkunden des Konzerns will die Gewerkschaft eher schonen – denn die sind von den langen Schlangen in den Telefonläden, den Endlos-Warteschleifen in den Call Centern und teuren Grundgebühren ohnehin genug genervt. Allerdings scheinen auch andere Unternehmen der Branche Kunden, die konkrete Probleme haben, mehr als lästige Kostenverursacher und weniger als Gewinn bringende Geschäftspartner zu betrachten.

Ver.di hingegen will mehr Service, weil das Arbeitsplätze sichert. Deshalb braucht die Gewerkschaft die Telekomkunden als Partner im Streik, vom Arbeitskampf genervte Kunden wären sicher kontraproduktiv. Außerdem macht es wenig Sinn, ein Call Center in einer Stadt zu bestreiken, weil Call-Center-Dienste leicht verlagert werden können.

Zudem muss die Gewerkschaft auf die öffentliche Meinung achten. Gründlich schief gegangen ist dies beim Metaller-Streik für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland: Damals war die Wirtschaftslage der Branche gut, die Beschäftigten streikwillig – und trotzdem endete der Arbeitskampf mit einer empfindlichen Niederlage, weil ein paar wackere Metaller gegen fast die gesamte öffentliche Meinung streikten. Die konnte sich in Zeiten von Jobangst und Sozialabbau partout keine Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich vorstellen.

Auf andere Streikerfahrungen der Metaller können die Ver.di-Strategen, die vor allem Telekom-Großkunden ins Visier nehmen wollen, durchaus zurückgreifen. In Zeiten schlanker Produktion reicht es oft, wenn man wenige Zulieferer bestreikt, um Großunternehmen lahmzulegen – denn die haben ihre Lager aus Kostengründen verkleinert, vieles wird just-in-time geliefert. Kleiner Aufwand, große Wirkung – vor allem, wenn die Großunternehmen bekannt sind und entsprechend im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen.

Ähnlich könnte Ver.di vorgehen, indem die Gewerkschaft den Kundendienst der Telekom bestreikt. Werden Störungen nicht rasch beseitigt, weil der Kundendienstmitarbeiter nicht kommt, könnte dies die Internet- oder Telefonnetze der Unternehmen funktionsuntüchtig machen. Die Unternehmen wären spürbar getroffen und könnten finanzielle Entschädigungen fordern. Auch dies könnte die Telekom zum Einlenken gegenüber Ver.di bewegen. Könnte. Egal wie erfolgreich die Streiktaktik der gezielten Nadelstiche sein mag, eines steht jetzt schon fest: mehr Geld kriegen die Telekomleute, im Unterschied zu den Metallern, nicht.