Alter Hassprediger koaliert mit Exterrorist

Nordirland kriegt neue Autonomieregierung aus Protestanten und Katholiken. Gemeinsamkeiten: Steuern, Cricket, Tee

DUBLIN taz ■ Es war eine schöne Zeremonie. Der 81-jährige Ian Paisley von der protestantischen Democratic Unionist Party (DUP) und Pfarrer, und der 56-jährige Sinn-Féin-Vize Martin McGuinness, Vizepräsident der katholischen Sinn Féin und früherer Kommandant der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), wurden gestern früh in Belfast als Chefs der neuen nordirischen Mehrparteienregierung vereidigt. Im letzten Autonomieparlament, das 2002 wegen Spionage Sinn Féins aufgelöst wurde, hatten Paisley und seine Abgeordneten noch jegliche Kooperation verweigert. Bis vor wenigen Wochen hatte Paisley kein einziges Wort mit McGuinness oder anderen Sinn-Féin-Vertretern gewechselt. Gestern zeigte sich der 81-Jährige wie verwandelt. „Heute ist ein besonderer Tag, denn es ist ein Neuanfang“, sagte er. „Wir stehen am Anfang eines Weges, der uns wieder Frieden und Wohlstand bringen wird.“ McGuinness fügte hinzu: „Wir erleben heute einen Sprung nach vorne, der größer ist als alles, was in den vergangenen 15 Jahren geschehen ist.“

Der britische Premierminister Tony Blair und sein irischer Amtskollege Bertie Ahern sahen den Feierlichkeiten von der Galerie des Parlamentsgebäudes Schloss Stormont in Belfast zu. Für Blair ist es ein positiver Ausklang seiner Amtszeit, wenn er morgen das Datum für seinen Rücktritt verkündet. Für Ahern ist es eine Gelegenheit, sein wegen Korruptionsbeschuldigungen angeschlagenes Image vor den irischen Wahlen in gut zwei Wochen aufzupolieren.

Beim Konflikt in Nordirland sind seit 1969 mehr als 3.700 Menschen sind ums Leben gekommen. Der Waffenstillstand der IRA besteht seit mehr als zehn Jahren, im vorigen Jahr hat die Organisation ihre Waffen ausgemustert und das Ende des bewaffneten Kampfes erklärt. Sinn Féin erkannte Anfang des Jahres die nordirische Polizei an. Damit war der Weg für eine neue Autonomieregierung frei.

Nach der Vereidigung der Regierung bat Paisley zum Tee in sein Büro. Der britische Nordirlandminister Peter Hain bemerkte, dass „die persönliche Chemie zwischen Paisley und McGuinness sehr gut“ sei. Sie schäkerten miteinander, und in einer ersten Presseerklärung gratulierten sie dem irischen Cricketteam für das gute Abschneiden bei der Weltmeisterschaft auf Jamaika. Und sie scheinen auch zusammenarbeiten zu können: Beide bedrängten den britischen Finanzminister Gordon Brown, die Körperschaftssteuer in Nordirland auf 12,5 Prozent zu senken, um ausländische Investoren anzulocken. Bisher hängt die nordirische Wirtschaft am Londoner Steuertropf.

Bis zur Normalisierung des Alltags ist man aber noch ein Stück entfernt. Zwar hat die Friedensdividende zu einem Bauboom, steigenden Hauspreisen und einem regen Nachtleben in Belfasts Innenstadt geführt, aber in den Randbezirken, wo die segregierten katholischen und protestantischen Arbeiterviertel aneinanderstoßen, werden die Mauern immer höher. Sechsundzwanzig davon trennen die Viertel voneinander, das Misstrauen ist groß. Im Belfaster Rathaus geht man denn auch weniger freundlich miteinander um: Ein DUP-Stadtrat wurde von seiner Partei gemaßregelt, weil er zu freundlich mit seinem Kollegen Tom Hartley von Sinn Féin umgegangen sei. Er hatte am Rande einer Ratssitzung ein Schwätzchen mit Hartley gehalten. „Es ist die Politik der DUP, mit Sinn Féin lediglich formelle Geschäftsbeziehungen in den Ausschüssen zu unterhalten“, sagte Robin Newton, der Fraktionschef der DUP. „Es ist nicht unsere Politik, mit den Sinn-Féin-Mitgliedern Kaffee zu trinken und informell zu plaudern.“ Das macht man nur in Nordirlands Regierung. RALF SOTSCHECK