„Gabriel könnte mit jedem der drei klarkommen“

ANALYSE Welcher Kandidat würde im Willy-Brandt-Haus mitmischen, warum wurde Wowereit nie Kanzler? Fragen an Politikwissenschaftler Gero Neugebauer

■ 73, ist Politikwissenschaftler in Berlin und beschäftigt sich mit Parteien, vor allem der SPD.

taz: Herr Neugebauer, Willy Brandt wechselte einst aus dem Berliner Rathaus ins Kanzleramt, Hans-Jochen Vogel war erst Regierender Bürgermeister, dann SPD-Kanzlerkandidat. Seitdem hatte der Berliner Landesverband auf Bundesebene nicht viel zu melden. Warum?

Gero Neugebauer: Der Landesverband genießt in der West-SPD den Ruf, etwas exotischer zu sein. Er gilt als einer der linken Verbände, die gerne aus der Reihe tanzen. Dass Klaus Wowereit trotz entsprechender Gerüchte nie Kanzlerkandidat wurde, könnte damit zu tun haben. Er hat mit Rot-Rot in Berlin schon relativ früh eine Koalition angeführt, für die die Bundespartei überhaupt nicht reif war.

Sein Nachfolgefavorit Michael Müller war bis 2012 Landesvorsitzender, ohne sich auf Bundesebene bemerkbar zu machen. Mit ihm würde der Einfluss des Landesverbands wohl nicht wachsen?

Ein Landesvorsitzender kann in der SPD politisch weniger ausrichten als ein Regierungschef. Allein dadurch, dass sich die Ministerpräsidenten vor Bundesratssitzungen absprechen. Dazu laden sie keinen Landesvorsitzenden ein. Müller war eher Schnittstelle zwischen Wowereit und der Partei und hatte wenig Gestaltungsmöglichkeiten.

Sein Konkurrent Jan Stöß mischt als Landeschef aber auch im Bund mit, zuletzt in der Debatte über das Freihandelsabkommen TTIP.

Jan Stöß ist in der Bundespartei tatsächlich stärker verankert. Er sitzt im SPD-Vorstand, konnte im Bundestagswahlprogramm linke Punkte zur Sozialpolitik unterbringen und ist zudem daran beteiligt, dass sich der linke Parteiflügel neu organisiert. Wenn er jetzt auch noch Regierender Bürgermeister wird, hätte er ein relativ hohes Gewicht.

Und Raed Saleh, der dritte Kandidat?

Wenn er gewinnt, könnte er für die SPD das Aushängeschild in puncto multikulturelle Gesellschaft und sozialer Aufstieg werden. Die SPD war ja lange die klassische Aufsteigerpartei. Als Ergebnis dominieren seit etlichen Jahren in der Partei immer stärker die gut ausgebildeten Eliten. Themen, für die sich die untere Mittelschicht interessiert, sind dadurch hinten runtergefallen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hält angeblich alle drei Kandidaten für ungeeignet. Er soll versucht haben, Martin Schulz für den Job zu gewinnen, den Präsidenten des Europaparlaments.

Das ist ein Gerücht, aber sollte es stimmen, hätte ihm einer, grob gesagt, ins Hirn geschissen. Was soll Schulz denn in Berlin? Kindergärten eröffnen? Brücken? Sich im Bagger an den Flughafen setzen? Für den Bundesvorsitzenden ist es am wichtigsten, dass in den Landesverbänden keine gravierenden Auseinandersetzungen toben. Dann könnte er mit jedem der drei klarkommen. Aber das muss man abwarten. INTERVIEW: TOBIAS SCHULZE