Kriminalität sinkt, Gewalt steigt

Obwohl die Kriminalität insgesamt sinkt, scheint es mehr Gewalttaten zu geben. Schäuble: Menschen zeigen öfter an

BERLIN taz ■ Die Nachricht klingt erst mal uneingeschränkt gut: Die Kriminalität in der Bundesrepublik ist im vergangenen Jahr gesunken, die Polizei zählte insgesamt 87.000 Straftaten weniger als 2005. Das entspricht einem bundesweiten Rückgang um 1,4 Prozent auf rund 6,3 Millionen Delikte.

„Die Zahlen belegen: Deutschland gehört zu den sichersten Ländern der Welt“, sagte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) gestern bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik 2006. Deutlich gesunken sind demnach Diebstahldelikte. Autoklau scheint aus der Mode zu kommen, die Zahl der gestohlenen Fahrzeuge fiel nach jahrelang rückläufigen Zahlen noch einmal um 16 Prozent. Der Taschendiebstahl sank ebenfalls um neun Prozent. Die Zahl der Betrugsfälle mit gestohlenen Kreditkarten ging sogar um 37 Prozent zurück.

Auch bei der Rauschgiftkriminalität verzeichnete die Polizei ein Minus von fast acht Prozent. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) räumte als Vorsitzender der Innenministerkonferenz ein, dass dieser Trend allerdings auch geringeren Kontrollen der Polizei geschuldet sein könne. Schließlich hätten sich die Sicherheitsbehörden während der Fußball-WM auf andere Probleme konzentriert.

Die Statistik enthält auch eindeutig unerfreuliche Zahlen. So registrierten die Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr einen Anstieg der Gewaltkriminalität um 1,2 Prozent, verursacht vor allem durch eine höhere Zahl versuchter Mord- und Totschlagdelikte sowie Körperverletzungen. „Dies macht uns Sorge“, sagte Körting. In den vergangenen zehn Jahren habe die Gewaltkriminalität um mehr als 15 Prozent zugenommen. Er halte es für ausgeschlossen, dass dieser Trend nur auf einer höheren Anzeigebereitschaft beruhe. Vielmehr berichteten die Praktiker in den Bundesländern, dass sie im Dienst mit einer steigenden Gewaltbereitschaft konfrontiert würden.

Angesichts der gestiegenen Zahl von Körperverletzungen bei Jugendlichen und Heranwachsenden warnte Schäuble aber vor übereilten Rückschlüssen. Der Trend sei vermutlich „zu einem erheblichen Teil“ auf ein verändertes Anzeigenverhalten zurückzuführen. Dafür spreche unter anderem eine Studie der Uni Greifswald: Demnach hätten Schulen vor zehn Jahren nur etwa 7 Prozent der Gewaltdelikte der Polizei gemeldet, inzwischen würden hingegen mehr als 22 Prozent der Fälle angezeigt.

In der Kriminalitätsstatistik schlägt sich auch die neue Rolle des Internets nieder. Immer mehr Betrüger lockt es aus der realen in die virtuelle Welt: So stieg die Zahl der Waren- und Warenkreditbetrügereien um mehr als 26.000 Fälle. Dieser Trend, so Innensenator Körting, sei vor allem auf Online-Shopping zurückzuführen: Waren würden im Netz bestellt und dann nicht bezahlt oder vorab bezahlte Ware komme nie beim Käufer an. Zum Teil seien die Opfer der Online-Betrüger aber auch Opfer ihrer eigenen Naivität, sagte Körting: „Ich habe ganz ehrlich nur ein begrenztes Mitleid für Leute, die im Internet Vorauszahlungen leisten und dann keine Ware bekommen.“ ASTRID GEISLER