Die steinige Suche nach Identität

Bremerhaven legt zu – auch in Sachen Denkmalschutz. Derzeit ist die Stadt zwar Schlusslicht im bundesweiten Denkmal-Ranking, jetzt aber unternimmt das Bremer Landesamt alles, um wenigstens Reste der verloren gegangenen Hafenkultur zu retten. Auch der Mietwohnungsbau steht im Fokus

Das umstrittenste Denkmal in Bremen ist der ehemalige U-Boot Bunker „Valentin“. Mindestens 1.100 Zwangsarbeiter kamen bei den Bauarbeiten zwischen 1943 und 1945 ums Leben. Seit 2005 steht der Bunker als einziges Gebäude aus dem zweiten Weltkrieg unter Denkmalschutz. Noch bis zum Jahr 2010 nutzt die Marine den Bau. Für die Zeit danach gibt es die Idee, Bunker und Umfeld als „Erinnerungslandschaft“ zu nutzen. Als erstes Modul des Konzepts wurde gestern die Ausstellung: „Denkort Bunker Valentin – Marinerüstung und Zwangsarbeit“ eröffnet. Sie ist bis zum 6. Juni im Rathaus zu sehen und wird ab dem 26. Juni als Dauerausstellung im Bunker selbst untergebracht. Ob nach 2010 tatsächlich ein Gedenkort entsteht, ist unklar. Über die Finanzierung wird noch verhandelt. PATT

VON HENNING BLEYL

Der deutsche Denkmalschutz ist ein weites Feld – mit unterschiedlich gut bestellten Parzellen. Das kleine Bremen zum Beispiel hat nicht nur im Einwohnerproporz, sondern auch in absoluten Zahlen deutlich mehr unter Schutz gestellte Gebäude als Hamburg. Dabei gilt in Bremen ebenso wie für die 1.400 Hamburger Objekte das „konstitutive“ Unterschutzstellungsverfahren, also die aufwändige Variante mit Gutachten und Anhörung – etwa die Hälfte der Bundesländer gibt sich mit einem „nachrichtlichen“ Vorgang zufrieden. Bei allen regionalen Relativi- und Rivalitäten ist eines allerdings unzweideutig: Das Schlusslicht im bundesweiten Denkmalschutz-Ranking, in dem Bremen-Stadt einen mittleren Platz einnimmt, ist das Duo Bremerhaven/Oberhausen.

Dass Bremerhaven kein Rothenburg ob der Nordsee ist, kann auch niemand erwarten. Die Stadt wurde erst 1827 gegründet und im Zweiten Weltkrieg weitestgehend zerstört. Durch die Eingemeindung etlicher Dorfkirchen kam zwar mittelalterliche Bausubstanz ins kommunale Denkmalkataster, insgesamt jedoch umfasst es bis heute nur 144 Positionen.

Dabei hatte Bremerhaven auch nach dem Krieg in Sachen Industriekultur und Hafenanlagen noch einiges zu bieten. Allerdings kamen, wenn überhaupt, nur markante Solitäre wie der Leuchtturm am Neuen Hafen unter Schutz, der weitaus größte Rest wurde bis in die jüngste Zeit abgeräumt: Vor zwei Jahren war das Flusslotsenhaus dran, mit dem Schuppen II musste kürzlich der letzte große Funktionsbau des Alten Hafens weichen, um Platz für das „Sail-City“-Hotel und ein äußerst deplatziertes Einkaufszentrum namens „Mediterraneo“ zu schaffen. Das Problem: Auch wenn einzelne Gebäude relikthaft überdauern, ist deren logistischer Funktionszusammenhang nicht mehr zu erkennen. Dirk Peters vom Deutschen Schifffahrtsmuseum kann eine enorme Reihe von herausgerissenen Gleisen, demontierten Kraftzentralen, Fischauktionshäusern und Schleusenwärterbehausungen auflisten, von verschrotteten Schwimmkränen und dem historischen Kühlhaus erzählen, das zugunsten eines Reifezentrums für Bananen niedergelegt wurde.

Natürlich muss Raum für neue Vertriebssysteme geschaffen werden, Bremerhaven steht mit seinen diesbezüglichen Denkmalschutzproblemen auch keineswegs allein da. Peters hat im Rahmen eines zwanzigjährigen Feldforschungsprojekts seeschifffahrtsbezogene Bauten an der deutschen Küste erfasst. Vier Jahre nach Abschluss zieht er eine nüchterne Bilanz: „Dreißig bis vierzig Prozent der dokumentierten Objekte sind heute nicht mehr vorhanden.“ Angesichts dieser Dynamik verzweifelten schon früher die Bremerhavener Denkmalschützer: „Der Hafen als Denkmalort löst sich unaufhaltsam auf und verwandelt sich in eine Wüste“, resümierte Wolfgang Brönner, nachdem er lange Jahre für den Erhalt wesentlicher Komplexe gekämpft hatte. Bröner weiter: „Das Geschichtszeugnis Hafendenkmal wurde bis auf einen ganz gering zu veranschlagenden, sich in der Wasserfläche spiegelnden Erinnerungswert ruiniert – und gleichzeitg mit ihm die ganze Stadtsilhouette.“

Der Bremer Landeskonservator, dessen Amt etliche Jahre nur kommissarisch geführt wurde, will diese Erosion nicht als unabwendbares Schicksal akzeptieren. „Eventuelle defätistische Auffassungen, dass Denkmalpflege in industriell betriebenen Häfen ohnehin keine Chancen habe, dürfen keinesfalls um sich greifen“, sagt Georg Skalecki, ein sonst sehr dezent auftretender Mann. Peters wiederum sieht auch die vielerorts beliebte Umwidmung historischer Hafenstrukturen kritisch: Gerade in Großbritannien seien beim Umbau zu Freizeiteinrichtungen (Disneyland) oder Geschäftszentren (die Londoner Docklands) viele Fehler gemacht worden.

Skalecki will sich jetzt verstärkt um Bremerhaven kümmern. Seine Devise: „Die Stadt muss als Nordsee-Handelshafen erkennbar bleiben.“ Als jüngstes Denkmal des Landes wurde soeben Peters Arbeitsplatz, das Schifffahrtsmuseum, unter Schutz gestellt – ein Hans Scharoun-Bau von 1975. Der Vorgang stellt eine fast schon demonstrative Wahrung des „Eine Generation“-Prinzips des modernen Denkmalschutzes dar: Etwa dreißig Jahre – im Idealfall auch nicht wesentlich länger – wird gewartet, bevor man die Denkmalqualitäten eines Objektes beurteilt.

Die derzeitig gültige Bremerhavener Denkmalliste existiert auch schon seit einer Generation. Der Mann, der die neue Inventarisierungskampagne in Angriff nehmen soll, heißt Uwe Schwartz und ist bereits mit dem Fahrrad unterwegs: Bis zum Sommer will er alle neun Bremerhavener Stadtteile abklappern, um nach Schutzwürdigem zu suchen. Schwartz: „Ich muss vor jedem Haus einmal zum Stehen kommen“. Derzeit geht der Historiker von etwa 150 Objekten aus, die er für die Liste vorschlagen wird. Dazu 100 weitere, die immerhin unter die „Erhaltungssatzung“ fallen könnten – solche Denkmäler zweiter Klasse sind durch das Baurecht vor allzu schnellem Abriss gefeit.

„Wir wollen nicht nur Villen schützen“, sagt Skalecki, gerade der Mietwohnungsbau stünde im Fokus der Recherche. Vor dem Hintergrund des beabsichtigen Wohnungsrückbaus in Bremerhaven ist bei der Bestandserfassung Eile geboten. Allerdings hätten die entsprechenden Gesellschaften selbst Interesse an den denkmalpflegerischen Anstrengungen, sagt Skalecki – sie unterstützen die Arbeit auch finanziell.

Neben der intensiven Erfassung ist Skaleckis Amt auch praktisch in Bremerhaven aktiv. Mit der Hauptkirche, nach dem stadtgründenden Bürgermeister Smidt benannt, geht es nun wieder aufwärts. Der Bau steht stabil auf 500 – bis zu 15 Metern langen – Pfählen, von oben allerdings polterten immer wieder Steine auf den Kirchplatz. Der Turm ist dem rauen Seewind ausgesetzt, „da oben steht man mitten in der Gischt“, sagt der Landeskonservator. Er hat die Instandsetzung selbst geleitet und ist dabei auf gravierende Fehler seiner Vorgänger gestoßen: Die hatten das Mauerwerk mit einer isolierenden Schicht überzogen, die mit der Zeit zum Hauptproblem mutierte: Das durch nicht vermeidbare kleine Spalten eingedrungene Wasser kommt nicht wieder raus, der Frost sprengt die Steine. Nach einer mühevollen Sanierung wurden die Absperrgitter jetzt wieder fortgeräumt. Wenigstens dieser Teil der Skyline scheint damit dauerhaft gesichert.

Zum Thema: Georg Skalecki (Hg.), Denkmalpflege in Bremen, Heft 4, Edition Temmen