Die Chemie hat gleich gestimmt

AUSBILDUNG Jugendliche mit unsicherem Aufenthaltsstatus haben normalerweise kaum Chancen auf eine Lehrstelle. Das muss nicht sein, zeigt ein Projekt der Arbeitsgemeinschaft selbständiger Migranten

Selbstständige Migranten nehmen die jungen Leute gerne auf. Das letzte Wort hat die Ausländerbehörde

VON KNUT HENKEL

Farid Norozian steht vor dem Regal in dem kleinen Supermarkt und räumt Gläser mit Jalapeños ins Regal. Der 19-jährige Lehrling hat mehrere Kartons mit schmackhaften Soßen aus Mexiko, aber auch aus Peru und andere lateinamerikanischen Ländern in einem Rollwagen vor sich und die Lücken im Regal sind beachtlich. „Die werden viel gekauft und manchmal dauert es bis wir Nachschub kriegen“, erklärt Inhaber Federico Breitung.

Der sitzt ein paar Schritte entfernt am Schreibtisch und gibt neue Bestellungen in den Rechner ein. Mit Fleisch, Meeresfrüchten und Weinen beliefert der in Córdoba geborene Deutsch-Argentinier zahlreiche Restaurants, aber in dem kleinen Supermarkt im Winterhuder Weg kann man auch einen Espresso trinken und am Tresen auf einen Plausch verweilen. Den lockeren Umgang und die Möglichkeit nicht nur im Verkauf, sondern auch im Großhandelsbereich seine Nase reinzustecken und etwas zu lernen, schätzt Farid Norozian. Der junge Afghane, dessen Eltern mit den beiden Kindern vor dem Krieg nach Hamburg flohen, hat lange nach einer Lehrstelle gesucht, bevor er bei Federico Breitung anklopfte.

„Von allein wäre ich nie hierher gekommen, denn in diesem Teil Hamburgs habe ich vorher nie zu tun gehabt“, erklärt der junge Mann mit dem dunklem Bartschatten schulterzuckend. Zu verdanken hat er den Kontakt seiner älteren Schwester. „Die hat im Internet die Arbeitsgemeinschaft selbständiger Migranten, ASM, gefunden und mich da hingeschickt.“

So lernte er Bahram Habib, den Leiter des ASM-Projekts „Integration durch Ausbildung“ kennen und der gab ihm die Adresse von dem kleinen Supermarkt. Dann hat er sich bei Federico Breitung vorgestellt.

„Die Chemie zwischen uns hat gleich gestimmt“, erklärt der Chef. Der war ganz überrascht als er von Bahram Habib erfuhr, dass er ausbilden darf. Sofort war er Feuer und Flamme zu helfen. „Ohne Ausbildung haben die jungen Leute doch keine Chance“, so der Deutschargentinier. Seit dreißig Jahren lebt er in Deutschland und hat Farid den Groß- und Einzelhandel schon nahe gebracht. Der hat längst Zukunftspläne geschmiedet, denkt mal an einen eigenen Laden, dann wieder an das Fachabitur. Zuversichtlich und motiviert ist der 19-Jährige. Diesen Effekt hat Habib schon öfter erlebt.

2008 hat er die ersten Jugendlichen vermittelt, die eigentlich keine Chance auf eine Lehrstelle haben, weil sie mit einer Duldung und somit ohne sicheren Aufenthaltsstatus in Hamburg leben. Bei den Ausbildungsbetrieben stehen sie nicht gerade hoch im Kurs. „Es ist extrem schwierig, eine Ausbildung mit einer Duldung durchzustehen, aber es geht“, erklärt Habib.

Der gebürtige Afghane, der seit 2008 für das Projekt arbeitet, setzt sich für seine Schützlinge ein und arbeitet dabei eng mit der Handelskammer zusammen. Geht, wenn nötig, mit zur Ausländerbehörde in der Amsinckstraße und knüpft unermüdlich Kontakte zu Betrieben. Nicht nur zu Deutschen sondern auch zu Unternehmen von Migranten. Bei denen gehen die Türen oft schnell auf. Ein Beispiel ist Mehrdad Shirazi, der ein Telekommunikationsgeschäft im Zentrum Hamburgs in der Rosenstraße betreibt. „Die neue Generation muss doch nicht die gleichen Erfahrungen machen wie wir“, erklärt der Mann und reibt sich den mit weißen Haaren gesprenkeltem Dreitagebart. Alles andere als einfach war es für ihn, sich in Deutschland zu orientieren und letztlich war der Gang in die Selbständigkeit nicht rundum freiwillig. Ein wesentlicher Grund, weshalb der Mann von Ende dreißig ausbildet.

Behzad Terrah hat noch gut zwei Monate vor sich, dann hat er Prüfung und wenn es gut läuft ist er dann Einzelhandelskaufmann. „Ich bin optimistisch, denn in der Schule komme ich gut klar und nach den schriftlichen Prüfungen hatte ich ein gutes Gefühl“, erklärt der junge Mann, der im afghanischen Herat aufgewachsen ist und seit gut zehn Jahren in Deutschland lebt. Die Lehre war für ihn ein Glücksgriff. „Hier herrscht eine familiäre Atmosphäre und die Kollegen motivieren mich dranzubleiben, mich weiter zu qualifizieren“, erklärt er.

Bei Problemen ist auch Bahram Habib schnell zur Stelle. Der schaut regelmäßig bei den 15 Jugendlichen ohne langfristige Aufenthaltstitel vorbei, die er jährlich vermittelt. Insgesamt fünfzig Azubis sind es derzeit und weitere sieben Jugendliche durchlaufen derzeit ein Praktikum. „Bei Ihnen könnte es in den nächsten Wochen noch etwas mit dem Lehrvertrag werden“, erklärt der Projektleiter optimistisch. Klappt das, stehen wieder Besuche in der Ausländerbehörde an. Die hat das letzte Wort.

Bisher hat Bahram Habib meist Glück gehabt. „Nur drei Mal verweigerten die Sachbearbeiter die Zustimmung – wegen Vergehen der Eltern“, erklärt er. Bei Behzad und Farid war das zum Glück nicht der Fall.