Kein Schiff wird kommen

Die Zahl der Flüchtlinge steigt stetig. Viele Menschen fliehen über das Meer – und geraten dabei in Seenot. In Schleswig-Holstein wurde darüber diskutiert, wie Reeder und Kapitäne helfen können

VON ESTHER GEISSLINGER

Ein treibendes Boot, 20 oder mehr Menschen an Bord, einige sitzen auf der schmalen Reling, andere hocken auf den nassen Planken – Flüchtlinge. Viele, die ihr Leben der See anvertrauen, überleben die Reise nicht: Allein auf der Passage zwischen Afrika und den Kanarischen Inseln sind im Jahr 2006 rund 3.000 Menschen ertrunken, schätzen Hilfsorganisationen. Weltweit ist die Zahl der Opfer viel höher, denn die Flüchtlinge werden immer mehr: Vor Honduras, um Kuba, bei Australien, sogar im Ärmelkanal trauen sich Menschen auf Luftmatratzen oder Ruderbooten auf See.

Die größte Chance haben Flüchtlinge, wenn sie einem anderen Schiff begegnen. Denn deren Kapitäne müssen retten – das Boot einfach treiben zu lassen, wäre nach geltendem Recht unterlassene Hilfeleistung. Doch viele Besatzungen fürchten sich vor den Folgen eines Rettungsmanövers. Schließlich zeigen einige spektakuläre Fälle, in welche Schwierigkeiten Reeder und Kapitäne geraten können: Etwa der Fall des norwegischen Frachters „Tampa“, der 2001 mehr als 400 Menschen vor Australien rettete und tagelang keinen Hafen fand, an dem die Flüchtlinge an Land gehen konnten.

Elias Bierdel, der frühere Chef der Hilfsorganisation „Cap Anamur“, führt in Italien einen Prozess, in dem ihm Schlepperei vorgeworfen wird. Das Hilfsschiff „Cap Anamur“ hatte im Jahr 2004 37 Flüchtlinge an Bord genommen und durfte wochenlang nicht an Land. Vorwürfe lauteten damals, Bierdel sei nur auf Publicity aus. Das weist er zurück, aber er klagt die „Festung Europa“ und die Haltung der Regierungen an: „Die Zahl der Menschen, die auf See einfach verschwinden, steigt.“

Für Matthias-Kaspar Reith sind diese Fälle Ausnahmen und kein Grund, nicht zu retten: „Die rechtliche Situation wurde verbessert“, sagt der Geschäftsführer der Hamburger Reederei Johann M. K. Blumenthal. Zur Flotte der 1901 gegründeten Reederei – einer der ältesten Deutschlands – zählen 16 Handelsschiffe, die auf allen Meeren unterwegs sind. Rettungsmanöver gehören zum Alltag, vor allem weil Reith strikte Anweisungen gegeben hat, kein Boot zu missachten. Er verteilt sogar Prämien an aufmerksame Matrosen, die Schiffbrüchige melden.

Vor kurzem rettete ein Frachter vor Malta zwei Männer, die auf einem umgeschlagenen Boot saßen – für 26 weitere kam jede Hilfe zu spät. Innerhalb kurzer Zeit holte ein Hubschrauber die Überlebenden ab, das Schiff konnte weiterfahren. „Nach dem Tampa-Vorfall 2001 hat sich viel geändert“, sagt Reith. Seitdem sei ihm nur ein vergleichbarer Fall bekannt geworden.

Zwei Dinge allerdings fordern die Reeder von der Politik: Erstens müsse der Kapitän entscheiden dürfen, welchen Hafen er anlaufen will, um Flüchtlinge abzusetzen – zurzeit hat das jeweilige Küstenland Kooperations- und Koordinierungspflichten. Zweitens müsse geregelt sein, dass es für den Zeitwaufwand der Rettungsaktionen eine Entschädigung gibt.

„Die Kapitäne stehen unter Druck“, sagt Reith. Zwar werden nach geltendem Recht keine Strafen fällig, wenn ein Schiff wegen einer Rettung zu spät liefert, aber jeder Tag, den ein Frachter festliegt, bedeutet Geldverlust. Zurzeit können sich Reedereien gegen diese Schäden teilweise versichern.

Karl-Martin Hentschel, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Kieler Landtag, hatte Bierdel, Reith sowie weitere Fachleute zu einem Informationstreffen geladen, um zu erfahren, wo die Politik helfen kann. „Schleswig-Holstein als Küstenland ist verpflichtet, der Bundes- und europäischen Ebene Informationen zu geben.“ Unter anderem wollen sich die Grünen nun für die Regelungen einsetzen, die die Reeder brauchen – vor allem wollen sie mehr Entscheidungsfreiheit für die Kapitäne, damit sie im Hafen ihrer Wahl die Geretteten reibungslos an Land bringen können. „Wir wollen die politische Debatte darüber führen, mit welchen Methoden an den Grenzen gearbeitet wird.“ Und: Bierdel und der Kapitän der „Cap Anamur“, der ebenfalls in Italien angeklagt ist, sollten einen Preis des Landes Schleswig-Holstein erhalten, schlägt Hentschel vor.