Einschüchterung misslungen

Die Bundesanwaltschaft vermutet „kriminelle Vereinigungen“ auch unter norddeutschen G-8-Gegnern. Diese „Kriminalisierung des Protests“ wertet nun sogar die gemäßigte Gewerkschaftsjugend als „Angriff auf uns selbst“

40 Anschläge seit 2005 bringt die Polizei bundesweit mit den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Verbindung. Die aktuellsten Anschläge in der Region: 23. 2. 2007: Brandanschlag auf vier Fahrzeuge der Firma Dussmann in Hamburg. 26. 1. 2007: Brandanschlag auf Firmenfahrzeug des Sprechers der Firma Thyssen Krupp Marine Systems in Hamburg. 26. 12. 2006: Brandanschlag auf Pkw des Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium, Thomas Mirow in Hamburg. 23. 10. 2006: Brandanschlag auf das Gebäude der Reederei Deutsche Afrika-Linien in Hamburg. 28. 09. 2006: Brandanschlag auf das Auto des Leiters der Hamburger Niederlassung der Euler Hermes Kreditversicherung, Stefan Schiebeler, sowie Farbbeutelattacke auf das Haus des Vorstandsvorsitzenden Gerd-Uwe Baden. 27. 4. 2006: Brandanschlag auf das Auto des Direktors des Hamburgischen Weltwirtschafts-Instituts, Thomas Straubhaar.  JYK

AUS HAMBURG UND BREMEN KAI VON APPEN
UND ARMIN SIMON

Die großangelegten Razzien der Bundesanwaltschaft haben selbst im gemäßigteren Spektrum der Globalisierungsgegner scharfe Kritik hervorgerufen. Die Polizeiaktion in Zusammenhang mit dem G-8-Gipfel in Heiligendamm reihe sich ein in eine „seit Wochen laufende Diffamierungskampagne“ konservativer Medien und Behördenvertreter, sagte der Landesjugendsekretär von Ver.di Niedersachsen-Bremen, Patrick von Brandt. Diese Zirkel versuchten den legitimen und von einem breiten Bündnis getragenen Protest zu kriminalisieren, so Brandt weiter. Als Teil dieses Bündnisses müsse die Gewerkschaftsjugend „die polizeilichen Übergriffe auch als Angriff auf sich selbst empfinden“.

Von den bundesweiten Hausdurchsuchungen waren in Hamburg neben dem autonomen Stadtteilzentrum Rote Flora ein Wohnprojekt, elf Wohnungen und sogar Büroräume des Deutschen Schauspielhauses betroffen. In Bremen drangen die ErmittlerInnen in ein alternatives Wohnprojekt sowie ein weiteres Wohnhaus ein, in dem unter anderem die linke Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz (M.A.U.S.) ihren Sitz hat. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen wurden diverse Bauernhöfe mutmaßlicher G-8-GegnerInnen durchsucht – angeblich dienen sie als „Planungsstätten“ und „Materiallager“.

Anlass zu den Durchsuchungen gaben Ermittlungen wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Aufgrund der „Häufung“ von Brandanschlägen in den vergangenen Jahren in Hamburg vermutet die Bundesanwaltschaft (BAW) offenbar, dass ein Kern der Bewegung gegen den G-8-Gipfel in der Hansestadt zu finden sei. So hatten G-8-GegnerInnen im Februar mehrere Fahrzeuge einer Catering-Firma der Dussmann-Gruppe angezündet, die unter anderem Bundeswehrkantinen versorgt hatte. Und nachdem Unbekannte das Auto der Ehefrau des Finanzstaatssekretärs Thomas Mirow (SPD) angezündet hatten, zog Generalbundesanwältin Monika Harms das Verfahren nach Paragraf 129a StGB – Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung – im Dezember an sich.

Um gegen ein möglichst breites Spektrum der linken Szene vorgehen zu können, berücksichtigte die BAW nun insgesamt neun Brandschläge in Hamburg sowie drei weitere in Berlin. Laut BAW-Sprecherin Petra Kneuer haben die Verdächtigen als Vereinigung das Ziel, mit „gewalttätigen Aktionen“ den Gipfel vom 6. bis 8. Juni in Heiligendamm „erheblich zu stören oder zu verhindern“.

Ein Sprecher der Hamburger Roten Flora zeigte sich gestern nicht überrascht von der Durchsuchung und wertete diese als Schlag ins Wasser. „Sie werden bei uns nichts finden, sie haben heute morgen nur unnütz die Mäuse geweckt.“ Die Staatsschutzaktion, ist er überzeugt, diene der Einschüchterung: „Wir sehen darin den Versuch der Staatsmacht, die auf breiter Basis organisierte Kampagne gegen die menschenverachtende Politik der G-8-Staaten zu kriminalisieren und zu diffamieren.“ Schließlich soll Ende Mai in der Roten Flora das Convergence Center Hamburg eröffnen, das als Anlaufpunkt und Plattform für G-8-kritische AktivistInnen aus der ganzen Welt dienen soll. „Hier werden Vernetzungstreffen und Workshops stattfinden, und es wird über Hintergründe der Proteste in Hamburg und Heiligendamm informiert.“

Die Durchsuchung der Roten Flora, die fünf Stunden dauerte, wurde von einer Hundertschaft abgesichert. In Bremen, wo die Polizei BewohnerInnen zum Teil im Schlaf überraschte, hieß es: „Hände auf die Bettdecke.“ Sämtliche Gemeinschaftsräume wurden gefilzt und gefilmt, bis zum Abend hielten sich Uniformierte in den Häusern auf. In der Roten Flora wurden zwei Safes aufgebrochen, für das ebenfalls dort ansässige „Archiv der sozialen Bewegungen“ erwirkten die Beamten einen eigenen Durchsuchungsbefehl. Computer, Faxgeräte und Kopierer wurden beschlagnahmt. „Auf dem Computer befindet sich nur Musik“, erklärte der Flora-Sprecher, „damit werden die Cops ihre Freude haben.“

Der anwaltliche Notdienst, den der Republikanische Anwaltsverein zum G-8-Gipfel eingerichtet hat, kritisierte gestern das Vorgehen der BAW. „Wir beobachten die Vorgänge im Vorfeld des Gipfels mit großer Sorge“, sagte Vorstandsmitglied Britta Eder: Verfahren nach Paragraf 129a dienten „lediglich zur Einschüchterung und Ausforschung funktionierender oppositioneller Strukturen“.

Viele AktivistInnen der autonomen Szene glauben, dass die „dreisten Übergriffe die weitere Mobilisierung nicht aufhalten können“. Der „Einschüchterungsversuch“, so eine Bremerin, werde einen gegenteiligen Effekt haben: „Die Solidarität mit dem Widerstand wird um so größer.“

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