„Lachen ist ziemlich out“

Heute läuft die 400. Sendung von „Aktenzeichen XY… ungelöst“. Moderator Rudi Cerne über seine Angst als 9-Jähriger vor der Sendung und die neue Akzeptanz, die die Verbrechersuche gefunden hat

Rudi Cerne (48) übernahm 2002 die Moderation von „Aktenzeichen XY“ von Butz Peters. Von 1999 bis 2006 führte der ehemalige Eiskunstläufer auch durch das ZDF-Sportstudio FOTO: ZDF

INTERVIEW MICHAEL AUST

taz: Herr Cerne, als „Aktenzeichen XY“ erstmals ausgestrahlt wurde, waren Sie neun. Durften Sie die Sendung damals sehen?

Rudi Cerne: Hin und wieder. Aber ich habe als kleiner Junge nie richtig kapiert, warum der Täter am Ende noch frei herumläuft. Bei allen anderen Sendungen, die ich damals geguckt habe – „Der Kommissar“ oder „Die Straßen von San Francisco“ –, wusste man, dass der Verbrecher am Ende geschnappt wird. Auch die Interaktivität der Sendung, das ständige Einblenden von Telefonnummern, fand ich störend. Dabei ging doch die ganze Spannung flöten.

Ging es Ihnen als Kind nach „Aktenzeichen XY“ so wie mir: Haben Sie vorm Schlafengehen alle Vorhänge nach Einbrechern kontrolliert?

Absolut. Alle Lichter mussten anbleiben, und ich musste erst mal gucken, ob jemand hinter dem Vorhang steht. Damals haben mir die Krimigeschichten kalte Schauer über den Rücken gejagt. Heute ist es eher das Bewusstsein, dass all das, was dort gezeigt wird, auf Tatsachen beruht, das mir Angst macht.

Wie haben Sie 2001 reagiert, als man Ihnen anbot, die Sendung zu moderieren?

Mein erster Gedanke war: Die wollen mich verarschen. Ich war gerade Moderator bei der Tour de France, es war die letzte Tour-Woche, irgendwo in der Provence. Ich ging gerade mit zwei Kollegen über einen verstaubten Parkplatz, als mein Handy klingelte. Hans Janke, der Leiter des ZDF-Fernsehspiels, war dran und fragte, ob ich nicht „Aktenzeichen XY“ moderieren wolle. Ich dachte, der muss ein Lockvogel sein. Wenn ich jetzt zusage und dann beim Vorstellungsgespräch bin, kommt plötzlich Frank Elstner hinterm Vorhang hervor. Ich war also erst mal zurückhaltend, habe dann aber gemerkt: Die meinen das verdammt ernst.

Sie haben einmal gesagt, Sie waren früher kein Fan von „Aktenzeichen XY“. Fanden Sie die Sendung langweilig?

Ich bin von nichts ein Fan, höchstens von Schalke 04. Bei Fernsehsendungen sagte ich nie: Die muss ich immer wieder sehen. Aber ich fand immer schon, dass diese Sendung irrsinnigen Sinn macht: Da bekommt die Polizei über den Bildschirm Hinweise zu Fällen, in denen sie alleine nicht weiterkommt. Das ist doch aller Ehren wert.

Leider ist die Sendung auch ziemlich humorfrei. Im „ZDF-Sportstudio“ klopfen Sie aber ganz gern flotte Sprüche. Macht Ihnen die Staubtrockenheit der Sendung was aus?

Ich tue mich sogar schwer zu sagen: „Herzlich Willkommen“ – das „Herzlich“ lasse ich meist weg, weil ich Angst habe, dass es scheinheilig klingt. Ich müsste eigentlich sagen: „Schön, dass Sie da sind und mithelfen. Das Schönste wäre, wenn Ihnen heute was auffallen würde.“ Lacher sind bei „Aktenzeichen“ ziemlich out. Aber nichtsdestotrotz kann man sich ja über einen Fahndungserfolg freuen.

Aber letztlich ist es doch eine Unterhaltungssendung.

Richtig, „Aktenzeichen“ ist auch Unterhaltung. Die Sendung läuft ja um 20.15 Uhr, das ist die letzte Gruppe im Eiskunstlauf. Da sind nur noch Favoriten auf dem Eis. Auf dem Treppchen stehen wir mit „Aktenzeichen XY“ relativ regelmäßig – aber nicht aufgrund von Effekthascherei. Wir sagen nicht: Diese Geschichte müssen wir jetzt ein bisschen sexyer machen. Wir machen nichts ohne die Zustimmung der Polizei.

Früher hörte man oft den Vorwurf, die Sendung fördere Denunziantentum. Heute wird sie überall als Vorbild gelobt. Woran liegt es, dass sie heute so unumstritten ist?

Die Statistik belegt, dass Kriminalität überall rückläufig ist. Im Gegensatz dazu ist die Angst der Menschen vor Kriminalität aber gestiegen – auch durch die Angst schürende Berichterstattung mancher Medien. Deswegen begegnen viele heute einer Sendung, in der nach Verbrechern gefahndet wird, eher mit Sympathie als mit Ablehnung. Nach dem Motto: Wenn die den kriegen, sind wir ihn los.

Der Nacht-Talker Jürgen Domian hat gesagt, nach den vielen schlimmen Fällen in seiner Sendung habe sich sein Menschenbild zum Schlechten verändert. Hat sich Ihr Menschenbild nach fünf Jahren „Aktenzeichen XY“ auch verändert?

Domian hat direkten Kontakt zu den Menschen, ich spreche ja nicht mit den Opfern. Ich habe es nur mit Kommissaren zu tun und halte es auch wie sie: Ich lasse die Fälle nicht an mich heran. Trotzdem brauche ich nach der Sendung meist ein paar Stunden, um runterzukommen. Aber das ist so bei jeder Live-Sendung. Beim „Sportstudio“ bist du auch aufgemöbelt bis zum Gehtnichtmehr.

Wann durfte Ihre 16-jährige Tochter zum ersten Mal „Aktenzeichen XY“ sehen?

Mit 11 durfte sie das noch nicht sehen, mittlerweile schon. Der Präventionscharakter der Sendung ist schließlich nicht zu unterschätzen. Ich erziehe meine Tochter zur Vorsicht, und manchmal hilft so ein kalter Eimer Wasser besser als der erhobene Zeigefinger und mahnende Worte des eigenen Vaters.

Wie begegnen Sie den neuen Formen der Kriminalität, etwa dem Ausspionieren von Pin-Nummern im Internet?

Die Frage müsste lauten: Wie geht die Polizei damit um? Denn die Fälle, die in „Aktenzeichen“ behandelt werden, werden alle von der Polizei ausgesucht. Und da geht es natürlich auch um neue Formen der Kriminalität. Ein Beispiel ist die Kinderpornografie im Internet. Wir hatten schon vier Fälle in der Sendung, bei denen die Polizei den Verdacht hatte, dass der Missbrauch der Kinder weitergeht. Einmal konnte ein solcher Fall schon durch den Hinweis eines Zuschauers gelöst werden.