Raubzüge auf hoher See

Der Appetit auf Fisch überlastet die Natur. Ein Viertel der Fischbestände sind wegen Überfischung bedroht. ExpertInnen fordern mehr Kontrollen. Aber die sind politisch kaum durchsetzbar

VON MORITZ SCHRÖDER

Die Fischbestände der Weltmeeren schrumpfen weiter. Ein Viertel von ihnen ist gefährdet, in mehr als der Hälfte der Populationen werden die Fischzahlen nicht mehr steigen. Schuld daran ist die massiv gestiegene Fischerei in Atlantik und Pazifik. „Das Fangpotenzial der Weltozeane hat sehr wahrscheinlich seine Grenzen erreicht“, sagte gestern Ichiro Nomura, der stellvertretende Generaldirektor der Welternährungsorganisation (FAO). Grund für das brisante Fazit ist der neue Fischereibericht der FAO, der gestern in Rom vorgestellt wurde.

Weil der Appetit auf die Schuppentiere ein Rekordmaß erreicht hat, lassen die Fischer weltweit immer häufiger ihre Netze ins Wasser: So sind die Fangzahlen zwischen den Jahren 1994 und 2004 um 20 Millionen auf 55 Millionen Tonnen gestiegen. Das Problem: Je mehr die Fischbestände in der Nähe der Küsten zur Neige gehen, desto öfter grasen die Fangschiffe auch die Gründe auf hoher See ab, also außerhalb der 200-Meilen-Grenze. So auch im Südost-Atlantik, im Südost-Pazifik oder im Indischen Ozean, wo die Fischgründe mittlerweile erschöpft sind. Arten wie der Kabeljau oder der Blauflossen-Thunfisch sind stark bedroht – und werden besonders wenig geschützt, weil die Hochseegebiete außerhalb des nationalen Rechts liegen. Während die Umweltstiftung WWF als Konsequenz fordert, zehn Prozent der Meere unter Schutz zu stellen, wären MeereswissenschaftlerInnen schon damit zufrieden, wenn die illegale Fischerei endlich schärfer kontrolliert würde. Regionale Überwachungsorganisationen müssten reformiert werden, fordert FOA-Vize Nomura und kritisiert den geringen Handlungswillen der 39 betroffenen Staaten.

„Die größten Bremser einer stärkeren Überwachung sind vor allem die südeuropäischen Staaten, die stark von der Fischerei abhängig sind“, sagt Christopher Zimmermann, stellvertretender Direktor des Instituts für Ostseefischerei in Rostock. Ob es im Fischereikomitee, das bis Freitag in Rom die Ergebnisse des neuen Berichts diskutiert, zu einem Durchbruch kommt, ist daher fraglich. Dabei haben die Vereinten Nationen auf ihrem Johannesburger Gipfel im Jahr 2002 beschlossen, die Fischerei bis 2015 auf ein Niveau zurückzuführen, das die Bestände nicht mehr bedroht. Laut WWF helfen da auch neue Fischfarmen nicht weiter, mit denen die VerfasserInnen des Fischereiberichts gern der Fischknappheit begegnen möchten. Die müssten ebenfalls mit Nahrung aus den Meeren versorgt werden.

Christopher Zimmermann könnte sich vorstellen, dass in Zukunft auf jedem Hochseefischer mindestens ein Kontrolleur mitfährt: „Das ist an der amerikanischen Ostseeküste für ausländische Schiffe längst üblich.“ Hans-Joachim Rätz vom Institut für Seefischerei in Hamburg fordert außerdem höhere Strafen für illegalen Fangflotten: „In Norwegen sind die Bußgelder so hoch, dass jeder aufpasst.“ Das könnte die Tiefseeregionen etwas entlasten, die besonders empfindlich auf die Schleppnetze der Fangflotten reagieren. Dort wachsen die Fische langsamer, weil es weniger Nahrung als an den Küsten gibt. Auch die Zahl der Tiefseehaie, die erst spät geschlechtsreif werden, ist inzwischen stark gesunken.

Ein weiteres Problem: Große Fänger aus Industriestaaten fischen die Bestände auch vor den Küsten von Entwicklungsländern ab, für deren Bevölkerung der Fischfang überlebenswichtig ist – so etwa vor Westafrika. Ausgleichsgelder für die Fangrechte kämen aber oft nicht in den betroffenen Gebieten an, so Zimmermann.