Im Staub der Jahrzehnte

AUFPOLSTERN Neue Federungen, Schaumstoffe und Bezüge lohnen sich nicht nur für den Werterhalt von Antiquitäten, sondern auch für Lieblingsstücke – die Handarbeit hat aber ihren Preis

Mit etwas handwerklichem Geschick kann man Stühle und Hocker auch selbst polstern. Sofas sollten jedoch lieber zum Polsterer, rät Handwerkerin Simone Krubally. Denn da sei es wichtig, wo am Stoff gezogen wird.

■ Anleitungen für das Aufpolstern von Sitzmöbeln gibt es auch bei Youtube. Den klassischen Workshop bieten viele Volkshochschulen und manche Polstereien an.

■ Viele Werkzeuge braucht es nicht. Ein Elektro-Tacker aus dem Baumarkt ist hilfreich, Hammer und Nägel tun es aber auch.

■ Alle Materialien, wie Schaumstoffe, Spanngurte oder Bezugsstoffe gibt es bei Internethändlern wie www.polstereibedarf-online.de, in Stoffläden oder bei Polstereien.

■ Die wichtigste Grundregel beim Polstern ist, den alten Stoff zu entfernen. Sonst können sich unbequeme Falten bilden.

■ Bei der Auswahl des Bezugsstoffes sollte man auf Lichtechtheit achten und erfragen, wie widerstandsfähig der Stoff gegen Scheuern ist. Je höher der Wert, desto länger halten die Stoffe.

■ Beim Schaumstoff gilt: Lieber nicht den günstigsten verwenden.

VON ANDREA SCHARPEN

Schon vor der Tür ist das gleichmäßige Klacken des Luftdrucktackers zu hören. In der Werkstatt steht Polsterin Simone Krubally in Jeans und grauem Pulli an einem großen Holztisch, befestigt grauen Stoff an einem kleinen Hockersitz. Der Raum wirkt nicht unordentlich, aber vollgestellt: Kein Fleck in der gut einhundert Quadratmeter großen Werkstatt im Hamburger Stadtteil Veddel bleibt ungenutzt. „Als ich den Raum vor zehn Jahren gemietet habe, dachte ich, ich könnte hier Rollschuh laufen“, erinnert sich die 44-Jährige.

Jetzt wirkt ihr „Polsterloft“ viel kleiner. In einer Ecke ist abgeschirmt von Schränken das Büro. Hunderte Stoffmuster liegen und hängen herum. Auch Schaumstoffe und Stoffbahnen lagern im großen Teil der Werkstatt neben Möbelstücken. Einige mit rot gemustertem Stoff bespannte Esszimmerstühle warten auf ihren Besitzer, aber auch die Rahmen antiker Sitzmöbel, stehen halb fertig im Raum. In auftragsstarken Zeiten bleiben nur enge Laufwege in der Werkstatt.

Heute ist es etwas ruhiger. Auf dem Arbeitstisch liegen große Sitzpolster. Sie sind mit verschiedenen Stoffen bezogen. „Das Fischgrätmuster ist gerade in“, sagt Krubally und zeigt auf ein orange gemustertes Kissen. Die Polster haben die Brüder Haschmat und Massieh Abdul für den Loungebereich ihres neuen Restaurants „Flutlicht“ in Hamburg-Wilhelmsburg beziehen lassen. Für zwölf Kissen zahlen die Existenzgründer mehr als tausend Euro. Die Möbel, dänische Designklassiker, haben sie gebraucht im Internet bekommen. „So konnten wir die Sessel selbst gestalten“, sagt Haschmat Abdul. Der 25-Jährige ist davon überzeugt, dass sich die Investition lohnt. Die Second-Hand-Möbel geben dem Restaurant eine Wohnzimmer-Atmosphäre. Außerdem sind die ausgesuchten Stoffe besonders strapazierfähig und langlebig, ergänzt Krubally, als die Männer mit den Armen voller Kissen hinausgehen.

Für einen Trend zu teuer

So junge Kunden, wie die 25- und 22-jährigen Restaurantbesitzer sind in ihrer Werkstatt selten – obwohl Vintage und Shabby Chic gerade angesagt sind. Aber für einen echten Trend ist das Handwerk zu teuer. Ein neues Polster für das Lieblingssofa kostet rund 1.800 Euro.

Etwa 25 Stunden Handarbeit stecken darin. Ein Sessel liegt in der Werkstatt von Krubally bei rund 1.000 Euro und ein Stuhl bei 70 Euro – nach oben gibt es keine Grenzen. Die Kosten variieren je nach der Qualität des Materials und der Stoffe. Viele Interessierte lassen sich von den Preisen abschrecken, beobachtet die Selbstständige. „Gerade von jüngeren Leuten höre ich dann oft nichts mehr.“

Dabei sei das Aufpolstern nicht nur sinnvoll um den Wert von Antiquitäten zu erhalten. „Immer wenn das Herz dranhängt, lohnt es sich – egal ob das Stück zehn oder hundert Jahre alt ist.“ Sogar ein Ikea-Sofa hat Krubally schon bezogen – mit einem dunkelblauen Jeansstoff von Ralph Lauren.

Krubally ist gelernte Raumausstatterin, verkauft auch Gardinen, Rollos oder Wandbespannungen. Ihr Herz hängt aber vor allem an der Polsterei. Die Wegwerfmentalität vieler Menschen ist der Handwerkerin zuwider. In großen Säcken sammelt sie Stoffreste, um sie an Kindergärten zu spenden, mit Watteresten stopft sie selbst genähte Teddys – in den Müll kommt in der Werkstatt so wenig wie möglich. Möbel erst recht nicht.

Gemeinsam mit ihrem Mann, der eine Tischlerei besitzt, arbeitet Krubally alte Stühle und Sessel wieder auf. „Es gefällt mir, zu sehen, was ich aus einem Möbelstück machen kann, bei dem andere nur an das nächste Osterfeuer denken.“

Dabei ist das Aufpolstern eine staubige Angelegenheit. „Eigentlich wühlt man als Polsterer im Dreck anderer Leute“, sagt Krubally. Kiloweise Salzstangen und Erdnüsse stecken in Sofaritzen und hinter Sesselkissen – manchmal aber auch kleine Schätze und Kuriositäten, Münzen verschiedenster Währungen, Gummifinger oder auch eine Edeka-Rabattmarke von 1963. „Die hüte ich wie die Blaue Mauritius“, sagt Krubally.

Erhalt von Zeitzeugen

Manche Möbelstücke würde die Polsterin am liebsten behalten. Die Fotos eines antiken Sofas mit rotem Velours-Stoff hat sie noch immer auf dem Handy. Im Rückenteil blieb der Originalstoff von 1910 erhalten, an den Lehnen hängen rot-goldene Quasten.

Viele Stunden Handarbeit stecken darin. Nach einem Brandschaden musste der Stoff sogar von einer Textilrestauratorin gereinigt werden. Heute steht es frisch gepolstert im Foyer eines Hotels auf Sylt. „Darum geht es mir letztlich“, sagt Krubally, „um den Erhalt von Zeitzeugen.“