Sarkasmus & Subversion
: Pole guten Gewissens

Nils Schuhmacher

Einfach nur verrückt, wie die Dinge zusammenhängen. Als Max Müller ungefähr 1986 in Berlin die Band Mutter gründete, stand die Mauer noch und die Welt war weitgehend klar sortiert. Als in Hamburg ungefähr 1993 die aus Tocotronic und anderen bestehende Hamburger Schule gegründet wurde, war die Mauer gerade gefallen und die Sortierung deutlich durcheinandergeraten. Mutter konnten mit ihrem schleppenden, krachigen Gitarrensound, gebadet in der Tradition von Noise-Rock und Doom, geküsst von Bands wie den Swans und The Fall, letztlich nur drei Zielgruppen ansprechen: Thurston Moore, Kritiker und Hamburger. Ersterer ließ Spurenelemente in das eigene Schaffen mit Sonic Youth einfließen. Zweitere fanden die Band spitzenmäßig, weil musikalisch gemein und textlich bissig – konnten aber das Publikum nicht recht davon überzeugen. Dritte benannten eine Kneipe nach den Hauptstädtern.

Wie zufällig auch immer löste sich in diesem zeitlichen Zusammenhang auch die Hamburger Band Meine Eltern (!) auf und Tocotronic entstanden. Stilbildend war auch hier die einfache Liedstruktur, allerdings deutlich karger als bei Mutter. Man verknüpfte schrammeligen Pop mit schrammeligem Punk und garnierte das Ganze mit naiv-subversiven Texten. Die regressive Variante dieses Stils (Tomte) geht übrigens auf einen Roadie der Band zurück, der sich erstens gerne in der Mutter aufhielt, um sich dann zweitens nach Berlin (!) zu verziehen – wo im Übrigen auch die Mitglieder von Tocotronic mittlerweile leben.

Heute sind Mutter (nicht nach Hamburg verzogen) immer noch sarkastisch, während sich Tocotronic auf eine weitaus komplexere musikalische Figur und eine sehr poetische Idee von Subversion gebracht haben. Jetzt sind beide Bands – wenn man so will, Pole des guten popkulturellen Gewissens – trotzdem gemeinsam in der Stadt. Am heutigen Samstag spielen Tocotronic in der Roten Flora, am 24. Oktober Mutter in der Prinzenbar.