Die Rückkehr der Gewaltfrage

Bisher war die Anti-G-8-Bewegung sich einig, friedlich protestieren zu wollen. Bisher

BERLIN taz ■ Eigentlich glaubten die Globalisierungskritiker, die Gewaltdiskussion schon hinter sich zu haben. Doch nach den Durchsuchungen linker Szenetreffs in mehreren deutschen Städten befürchten die Aktivisten eine Radikalisierung des Protests gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm Anfang Juni. „Die Leute, die andere Protestformen wollen als wir, werden nun sicherlich wieder lauter werden“, sagt Monty Schädel, einer der Koordinatoren des Protests. Und die Vizechefin der Linkspartei, Katja Kipping, die über gute Kontakte ins Lager der G-8-Gegner verfügt, sagt: „Die Geschichte der Gipfel zeigt, dass derartige Aktionen der Polizei meist zur Eskalation führen.“

Schädel, der auch Geschäftsführer der Deutschen Friedensgesellschaft ist, hat zwischen den verschiedenen Gruppen die Übereinkunft ausgehandelt, dass der Protest keine Menschen gefährden soll. Darüber hatte es zuvor heftige Diskussionen gegeben. Viele Aktivisten taten sich schwer damit, sich von Gewalttaten zu distanzieren. Als führende Mitglieder des Netzwerks Attac dies dann öffentlich doch taten, hagelte es Kritik. Das sei „vorauseilender Gehorsam“, schimpfte beispielsweise die Antifaschistische Linke Berlin.

Das Wort „Gewalt“ ist ein Tabu für das G-8-Protest-Bündnis. In keinem Punkt unterscheiden sich die Bündnispartner so sehr wie in der Gewaltfrage. Es gilt die Regel: Am besten gar nicht drüber reden, schon gar nicht mit Außenstehenden. Wenn es sich nicht vermeiden lässt, ist meist ganz diplomatisch die Rede von unterschiedlichen „Aktionsformen“. „Es gibt verschiedene, und wir wollen uns von keiner distanzieren“, sagte beispielweise Benjamin Laumeyer vom linksradikalen Netzwerk der Interventionistischen Linken noch Ende April. Anderen dagegen merkte man man damals das Unbehagen an. Karsten Smid, dem Koalitionspartner von Greenpeace, etwa: „Ich mache mir Sorgen“, sagt er. „Aber ich glaube an friedliche Bilder, sonst würde ich hier nicht sitzen.“

Letztendlich vereinbarten die Gruppen, die Aktionen auf zivilen Ungehorsam zu beschränken. Auch nach den Razzien von gestern beschworen führende Vertreter der G-8-Kritiker diesen Beschluss: „Ich glaube nicht, dass die Durchsuchungen den Charakter des Protestes verändern werden“, sagt Christoph Kleine von der Interventionistischen Linken. Monty Schädel fügt hinzu: „Was wir beschlossen haben, ist Konsens, und die Mehrheit wird sich nicht aus der Ruhe bringen lassen.“

Allerdings können auch Kleine und Schädel nicht garantieren, dass sich nicht einige Protestler jetzt ermutigt fühlen, auf Gewalt zu setzen. Laut Schädel trägt dazu bei, dass die Polizei die Gipfelgegner seit Wochen kriminalisiere. „Der Einsatzleiter in Rostock erzählt bei jeder Gelegenheit, dass schon die von uns geplanten Straßenblockaden Gewalttaten sind.“ Wenn die Polizei weiterhin suggeriere, alle Protestler seien Krawallmacher, lasse es sich kaum verhindern, dass sich zum Gipfel in Heiligendamm tatsächlich welche einfänden. NIKOLAI FICHTNER

DANIEL SCHULZ