JÜRN KRUSE DER WOCHENENDKRIMI
: Western in Wiesbaden

Ein Bahnhof in der hessischen Provinz. Ein Herr steigt aus. Schwarzer Koffer, weißer Leinenanzug. Drei junge Männer erwarten ihn, jeder mit Pistole. Flirrende Hitze, die Schritte der vier sind überdeutlich zu hören. Streicher setzen ein. Drei Schüsse. Die drei Männer fallen um. Der Mann im weißen Anzug geht ab von der Bahnsteigbühne.

Eine Überwachungskamera lief. „Sieht aus wie ein Duell aus einem billigen Western“, sagt Polizist Schneider. „Oder aus einem guten“, antwortet LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur). Genau das ist „Im Schmerz geboren“: ein guter Western. Und ein Shakespeare-Drama.

Die drei Erschossenen waren die Söhne von Alexander Bosco (Alexander Held). Sie hießen Marcellus, Claudius und Polonius. Bosco ist eine lokale Unterweltgröße – und steht auf „Hamlet“. Der Mann im weißen Anzug ist Richard Harloff (Ulrich Matthes). Er leitete einst ein Drogenkartell in Bolivien. Und war zuvor mit Hauptkommissar Murot zur Polizeischule gegangen. Bis er rausflog. Er hatte ein Pfund Marihuana geklaut.

Wie die Eingangszene wirkt auch jede weitere Sequenz in diesem „Tatort“ wie ein kleines Bühnenstück. Florian Schwarz (Regie), Michael Proehl (Buch) und Philipp Sichler (Kamera) haben den einzelnen Akten die Zeit gegeben, die sie brauchen, damit aus ihnen ein großer Film entsteht. So entlässt in einer Szene Harloff, das böse Genie, den roten Leuchtpunkt eines Zielfernrohrs aus seiner Hand: Der Punkt krabbelt wie ein Käfer langsam über die Steine zum tumben Bosco, klettert an dessen Schuh und Hosenbein hinauf bis zum Herzen. Ein Schuss. Der Punkt wandert zurück in Harloffs Hand.

Alles wird untermalt von Streichern, Pauken oder Bläsern. Wie sich das für einen Western gehört. Das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks dürfte mit diesem Auftritt reichlich Daseinsberechtigungspunkte sammeln.

Schauen Sie sich diesen „Tatort“ an, hören Sie ihn sich an.

„Tatort: Im Schmerz geboren“; So., 20.15 Uhr, ARD