Generalprobe für Heiligendamm

Nach den bundesweiten Razzien bei G-8-Kritikern demonstrieren in Norddeutschland mehrere tausend Menschen. Die Gipfel-Gegner freuen sich über den Mobilisierungseffekt

Vor dem Hintergrund der Durchsuchung der „Roten Flora“ hat Hamburgs SPD-Fraktionschef Michael Neumann die in der Hansestadt aktiven Globalisierungskritiker zu einer eindeutigen Distanzierung von Gewalt aufgefordert. Das Grundgesetz schütze die, „die im Rahmen der Gesetze in der politischen Diskussion für ihre Meinung eintreten“, so Neumann gestern. Die jüngsten Durchsuchungen seien aber Konsequenzen aus Gewalttaten. Neumann wie auch der SPD-Innenexperte Andreas Dressel bedauerten gestern, dass sich nach dem Anschlag auf das Haus von Finanzstaatssekretär Thomas Mirow nur in Mecklenburg-Vorpommern G-8-Gegner von Gewalt distanziert hatten. TAZ

von ANDREAS SPEIT
, REIMAR PAUL
und PATRICK EHNIS

Im Nachhinein betrachtet, erscheint der Tag der bundesweiten Polizeirazzien wie eine Generalprobe für den G-8-Gipfel im Juni in Heiligendamm. Die ist geglückt: Die Szene ist mobilisiert. Mehrere tausend Menschen haben sich noch am Mittwoch in norddeutschen Städten zusammengefunden, um gegen die Kriminalisierung des G-8-Protestes zu demonstrieren. Viele Kritiker bewerten die Razzia inzwischen als Eigentor für das BKA: „Das gab für Heiligendamm den letzten Mobilisierungsschub“, fasste eine Demonstrantin aus Hamburg zusammen.

Allein in Hamburg, wo neben Berlin die meisten Razzien waren, demonstrierten mehr als 2.000 Menschen. Der Protestzug zog durch das Schanzenviertel, in dem auch das Stadtteilzentrum „Rote Flora“ sowie das Wohnprojekt liegen, das am Morgen von der Polizei durchsucht worden war.

Die Stimmung war aufgeheizt – kämpferisch, aber friedlich. Gegen 22 Uhr, als der Demonstrationszug wieder an seinem Ausgangspunkt vor der Roten Flora angekommen war, eskalierte die Situation dann doch: Nachdem Demonstranten Feuerwerkskörper in den Himmel geschossen hatten, schickte die Einsatzleitung der Polizei uniformierte Beamte mit Schlagstöcken in die Menge. Flaschen und Steine flogen, Polizeibeamte rückten weiter vor. Vier Wasserwerfer kamen schließlich zum Einsatz, um die Demonstration von der Straße zu spülen. Acht Personen wurden wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch vorläufig festgenommen. Drei Beamte und eine Passantin trugen Verletzungen davon.

Kiel und Göttingen waren von den Razzien nicht betroffen, doch auch in diesen beiden Städten versammelten sich Mittwochabend G-8-Gegner zum Protest. In Kiel demonstrierten rund 150 Personen, in Göttingen kamen etwa 250 Demonstranten auf dem Marktplatz zusammen. Hier kam es zur Konfrontation mit der Polizei: Kaum war das erste Transparent entrollt und der erste Sprechchor angestimmt, stürmten behelmte Polizisten in Kampfmontur heran und versperrten der sich formierenden Demonstration den Weg. Nach kurzem Gerangel liefen die Demonstranten in verschiedene Richtungen davon. Etwa 100 von ihnen rannten durch ein Bekleidungsgeschäft, dabei flogen mehrere Ständer um.

Eine halbe Stunde lang jagten G-8-Kritiker und Polizisten in der Göttinger Innenstadt hintereinander her. Bei einem Handgemenge sei ein 28 Jahre alter Beamter durch einen Biss in den Finger leicht verletzt worden, sagte später eine Polizeisprecherin. Die Polizei nahm eine Frau und einen Mann vorübergehend fest und leitete insgesamt fünf Ermittlungsverfahren ein: wegen Widerstandes, Landfriedensbruchs und Körperverletzung.

In Hannover gingen nach Teilnehmerangaben etwa 130 Linke unter dem Motto „Die G 8 delegitimieren und nicht den Widerstand!“ auf die Straße. Polizei war keine zugegen.

In Bremen demonstrierten etwa 300 Menschen gegen die bundesweiten Hausdurchsuchungen. Ein Redner bezeichnete die Polizeiaktion als „billigen Trick“, welcher der Kriminalisierung diene. Es wurden Solidaritätsbekundigungen des Friedensforums Bremen sowie der Verdi-Jugend Niedersachsen-Bremen verlesen. Der Protest gegen das G-8-Treffen „lasse sich nicht spalten“ und werde „jetzt erst recht“ weitergehen, so der Inhalt. Trotz massiver Polizeipräsenz kam es zu keinen Zwischenfällen. Im Anschluss hielten etwa 30 Menschen vor der Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz (M.A.U.S.) eine Kundgebung ab. Das Projekt war ebenfalls Objekt der Polizei-Razzia.

brennpunkt SEITEN 3, 4