berliner szenen Eine Luft wie 81

Management der Wut

Nach der „Tagesschau“, die Mittwochabend über die Razzien in Kreuzberg berichtet hatte, überlegte man kurz, ob man sich direkt im Netz so ein T-Shirt bestellen sollte, wie es in der Zitty beworben wird. Ein Schablonen-Schäuble-Gesicht, unter dem „Stasi 2.0“ steht. Dann aber entschied man sich doch für ein Wut-Bier irgendwo draußen.

Andere hatten das mit dem Anger Management schon anders geregelt. Nur wenige Meter von der Haustüre entfernt sah man sie auf der Wiener Straße. Da zogen sie zu Tausenden, ein paar Dancehall spielenden Boxen auf Rädern hinterher und riefen im Chor „A-Anti-Anticapitalista!“. Man bekam prompt feuchte Augen.

Am Schlesischen Tor begegneten sie einem wieder, standen da, ziemlich ruhig eigentlich dafür, dass sie umringt wurden von Menschen in Kampfmontur. Am Rand – manche würden jetzt sagen: „außerhalb des Kessels“ – stürzte ein Glatzköpfiger in Armeehose mit weit geöffneten Armen auf einen Grauhaarigen in Armeehose zu: „Mensch, du hier, das ist ja wie 81, oder, weißt du noch?“ „Klar, aber muss man ja machen, ab und an nochmal diese Luft schnuppern, oder?“

Die Aussicht aus der Bar Waldohreule war von grünweißen Fahrzeugen versperrt. Vielleicht auch deswegen waren keine anderen Gäste da. Ein junger Mann mit schwarzer Kapuze kam mal rein und fragte: „Darf ich aufs Klo gehen?“ Der Barkeeper sagte: „Klar.“ Zehn Minuten später kam ein Polizistenpärchen. Die Polizistin fragte: „Darf ich mal aufs Klo gehen?“ Der Barkeeper sagte: „Klar.“ Während die Polizistin aufs Klo ging, wartete der Polizist an der Theke. Barkeeper: „Und, alles ruhig bisher?“ Er: „Jo.“ Barkeeper: „Hat das was mit der Razzia heute zu tun?“ Er: „Jo.“

KIRSTEN RIESSELMANN