: Lial singt gegen die Behörden an
Lial Akkouch ist jung, sozial engagiert und mit ihrer Band „No Ibn“ erfolgreich. Und sie kämpft gegen die Abschiebung ihrer Familie
von NICOLE MESSMER
Sie will es ihnen allen zeigen: Denen, die sie lieber im Libanon als in Deutschland sehen würden, und denen, die gesagt haben, arabische Mädchen sollten keine Pop- und Rockmusik machen. Morgen erscheint die erste CD von Lial Akkouch und ihrer Cousine Lulu. Gemeinsam sind die beiden die Band No Ibn – übersetzt bedeutet dies „keine Söhne“.
Die Musik der Mädchen ist eindeutig für westliche Ohren gemacht, Kritik von Bekannten musste sich Lial deshalb öfter gefallen lassen: Warum sie singen und tanzen würde und warum es ausgerechnet Rock- und Popmusik sein müsste. Beirren lässt sie sich nicht. Jetzt will sie anderen Mädchen ein Vorbild sein.
Buchstäblich über Nacht hat sich für sie ein Traum erfüllt, für den viele Jugendliche in zahlreichen Castingshows im Fernsehen alles geben würden. Eines Nachts rief sie ein Bekannter an, sie solle bei einem Casting des Plattenlabels Redhot Records mitmachen. Anders als alle anderen Bewerber hatte Lial keine Ahnung, worum es eigentlich ging. Aber sie konnte tanzen und singen und passte genau ins Schema: schwarze lange Haare, große Augen, bildhübsch. Schnell war klar: Lial sollte den Plattenvertrag bekommen.
Vielleicht ist dieser Erfolg eine Art Entschädigung dafür, dass sie um das kämpfen musste, was für andere Mädchen selbstverständlich ist: darum, in Deutschland bleiben zu dürfen. Die Behörden hätten sie all die Jahre, die sie schon in Berlin lebt – und das ist praktisch ihr ganzes Leben – gerne mehrmals zurück in den Libanon geschickt. 1990 ist sie mit ihren Eltern aus dem Land nach Deutschland geflohen, in dem seit Mitte der Siebziger Bürgerkrieg herrschte. Damals war sie ein Kleinkind, an ihre sogenannte Heimat kann sie sich nicht erinnern. Aber in Deutschland war sie lange nur geduldet. Zwei Asylanträge lehnten die Behörden ab.
Lial sitzt mit verschränkten Beinen auf dem Sofa in der Wohnung ihrer Mutter in Neukölln und versucht in Worte zu fassen, was sie oft bedrückte: „Das ist eine sehr große Belastung. Du sitzt in der Schule oder bist beim Training und kannst dich nicht konzentrieren. Du fragst dich, wozu machst du das?“ Trotzdem hat sie immer weitergemacht. Lial ist klein und zierlich – wenn man sie so in ihrer Freizeitkleidung sieht, kann man nur erahnen, wie viel Power wirklich in ihr steckt: Sie tanzt und singt, hat die Schule fertig gemacht und engagiert sich seitdem im Jugendzentrum Manege in Neukölln – und das, obwohl sie nie wusste, wie lange sie in Berlin würde bleiben dürfen.
Vor vier Jahren wurde die Familie abgeschoben. Lial verschränkt die Hände und sieht weg, während sie davon erzählt, wie sie, ihre Mutter und die vier Geschwister nachts um halb fünf abgeholt wurden. Wie man sie am Flughafen in eine Familienzelle steckte, wie sie in die Türkei ausgeflogen wurden, wo sie einen Tag lang ohne Essen ausharren mussten, bevor sie weiterverfrachtet wurden in den Libanon: „Es war mies, die haben uns wie Tiere behandelt.“ Sie spricht stockend. Ohne die Unterstützung in Deutschland wäre sie vielleicht immer noch im Libanon: Lehrer und Schüler ihrer Schule setzten sich dafür ein, dass die Familie zurückkehren durfte.
Vor wenigen Wochen haben Lial und ihr 18-jähriger Bruder Hassan endlich die lang ersehn- te Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Auch Hassan ist engagiert, holt andere Jugendliche von der Straße und gibt Breakdancekurse. An seiner früheren Schule war er Schulsprecher. Monatelang wurde beiden die Aufenthaltsgenehmigung nur versprochen. Die libanesische Botschaft verschleppte den Fall immer wieder. In der Senatsverwaltung für Inneres wollte man sich nicht äußern. Doch wenigstens für ein halbes Jahr haben Lial und Hassan nun einen halbwegs gesicherten Status.
Lial wirkt entspannt, wenn sie das erzählt. Und ein bisschen euphorisch: Mit dem Plattenvertrag hat sie auch einen Ausbildungsplatz bekommen. Im Herbst beginnt sie in der Firma ihres Managers eine Ausbildung zur audiovisuellen Medienkauffrau. Und dann wird ihre Aufenthaltsgenehmigung wahrscheinlich verlängert. Lial ist sich allerdings ziemlich sicher, dass ihnen beiden der Aufenthalt letztlich nur gewährt wurde, weil sie erfolgreich ist.
Die Entscheidungen der deutschen Politik sind nutzenorientiert. Wer begabt ist und allein für sich sorgen kann, darf bleiben. Wenn Lial also Pech hat, dürfen sie und Hassan zwar weiterhin in Deutschland leben, aber der Rest der Familie könnte Deutschland irgendwann endgültig verlassen müssen. Denn auch das neue Bleiberecht funktioniert nach dem Erfolgsprinzip. Künftig bekommen diejenigen eine Aufenthaltsgenehmigung, die Arbeit haben und nicht auf die Unterstützung durch die Sozialsysteme angewiesen sind: Und Familie Akkouch wird Probleme haben, ein Bleiberecht für die ganze Familie zu bekommen: Lials Mutter ist seit der traumatischen Abschiebung krank und kann höchstens halbtags arbeiten.
Deshalb wären die Mutter und die drei jüngeren Geschwister, die noch nicht so viel auf sich aufmerksam gemacht haben, schon vor Weihnachten wieder in den Libanon abgeschoben worden, wenn es nach dem Willen der Ausländerbehörde gegangen wäre. Doch wieder haben sich viele für die Familie aus Neukölln eingesetzt. Wenigstens bis Mitte nächsten Jahres dürfen sie jetzt bleiben.
Dabei sind die Akkouchs hier voll integriert. Lials Mutter hat sie und ihre vier Geschwister allein großgezogen. Wichtig war ihr dabei immer, dass aus den Kindern etwas wird. Die beiden ältesten zeigen, dass ihr das gelungen ist: Lial und Hassan nutzen ihr Talent und engagieren sich in der Jugendarbeit. Immer wieder fordert die Politik „zivilgesellschaftliches Engagement“ – nichts anderes ist es, was die beiden machen. Lial bringt im Jugendzentrum Manege jungen ausländischen Mädchen das Tanzen bei. Aber es geht um mehr als nur ums Tanzen: Lial will ihnen etwas von dem weitergeben, was sie von Mutter gelernt hat. Denn viele der Jugendlichen, die dort die Nachmittage verbringen, „kommen aus Haushalten, wo es drüber und drunter geht“, schildert Lial die Situation des Jugendzentrums, das genau gegenüber der Neuköllner Rütli-Schule liegt.
Der Name der Band No Ibn – „keine Söhne“ – ist bewusst gewählt worden: Lial will ausländischen Mädchen Mut machen, das zu tun, was sie wollen und können. Dass sie als muslimisches Mädchen Rock- und Pop-Musik macht, haben viele Bekannte kritisiert, vor allem die Männer in ihrem Umfeld. Sie kennt die Tendenz muslimischer Männer, Frauen gewissen Regeln zu unterwerfen.
Aber wer kein Verständnis für ihre Musik hat, sei bloß neidisch, glaubt Lial: „Weil die im Leben nichts erreicht haben, greifen sie mich an.“ Für patriarchalische Familienstrukturen hat sie nur wenig Verständnis: „Ich find das ein bisschen deprimierend zu sehen, dass man Angst hat vor seinem eigenen Bruder oder dass man Angst haben muss vor dem Vater. Die sind da, um dich zu beschützen und nicht, um Angst vor ihnen zu haben. Ich habe Respekt vor jedem, aber ich lasse mir nichts sagen – man kann immer über alles reden.“ Es wirkt nicht trotzig, wenn sie das sagt – eher selbstbewusst.
Trotz ihres Talents und ihres Engagements ist ungewiss, wie es für den Rest der Familie Mitte nächsten Jahres weitergeht. Lial hofft, dass sie und ihr Bruder genug Geld verdienen können, damit die ganze Familie ein Bleiberecht bekommt. Die Hürden allerdings sind hoch: Es gibt feste Beträge, die sie erst einmal verdienen müssten, damit die sechsköpfige Familie bleiben dürfte.
Lial glaubt an das Ziel, das sie sich gesetzt hat: „Wenn jeder ein bisschen macht und wir uns dann gegenseitig die Hände reichen, dann klappt das schon. Eine Hand wäscht die andere.“ Lial ist zuversichtlich. Im vergangenen Jahr wurden rund 15.000 Personen bundesweit abgeschoben, halb so viel wie in den Jahren zuvor. Lial wird alles tun, damit sie und ihre Familie nicht dazu gehören. Sie will die deutschen Behörden, die sie schon so oft loswerden wollten, eines Besseren belehren.
Und wenn sie dann gleich noch beweisen kann, dass arabische Mädchen sehr wohl Rock- und Pop machen können, hat sie gleich zwei Dinge erreicht.