gastronomiegulag gallus von JÜRGEN ROTH
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Neulich las ich, als ich am Tresen meines Lieblingsnachmittagslokals „Lokalteil“ im Frankfurter Gallusviertel saß, auf einem Zettel, der in der Seite eines kubusförmigen Plastikkerzenhalters steckte: „Frühstück Mo.–Fr. 10–11.30 Uhr, So. 10–15 Uhr“.

„Elke“, fragte ich Wirtin Elke, „ist das wahr? Muss man, wenn man bei euch frühstücken will, eisern von zehn bis halb zwölf durchhalten? Und am Sonntag sogar fünf Stunden? Und müsste ich jeden Tag, ausgenommen samstags, bei euch antreten, wenn ich mich entschlösse, bei euch zu frühstücken?“

„Stimmt!“, sagte Elke, „die Gegenwart verlangt innovative Lösungen. Deshalb geht die Gastronomie generell neue Wege, überall. Ordnung ist da ein ganz wichtiger Aspekt. Wir im ‚Lokalteil‘ haben jetzt feste Essens- und Aufenthaltszeiten eingeführt. Werden die nicht eingehalten, setzt es was!“

Was ist bloß im Gallus los? Apollo, der Wirt der von mir abends bevorzugten Kneipe direkt neben dem „Lokalteil“, das „Kyklamino“, hat mich schon mal entlassen – als Gast wohlgemerkt. „Hiermit bist du als mein Gast entlassen!“ Ich hatte nichts weiter getan, als Apollo der Mitgliedschaft in einer von mir ausgemachten „Gallus-Wirtemafia“ zu überführen. Erst Gästeentlassung – und jetzt auch noch eine Frühstücksdiktatur?

Ich schaute mir daraufhin die Frühstückskarte mal genauer an. Neben ungezählten Rühreivariationen waren sieben Angebote mit den Namen „FAZ“, „Nordsee-Zeitung“, „taz“, „Schwarzwälder Bote“, „Observer“, „Paris Match“ und „La Stampa“ aufgelistet.

Oberflächlich betrachtet, bekommt man, wählt man das Frühstück „Schwarzwälder Bote“, Folgendes serviert: „Rührei mit gebratenen Maultäschle, Kräuterschmand, Schwarzwälder Bauernschinken, Allgäuer Käse, Butter, Himbeermarmelade und Brötchen“. Dass das nicht stimmt, entdeckte ich beim zweiten Hinsehen. Die Buchstaben begannen zu tanzen, und es entschlüsselte sich mir der wahre Sinn der Zeilen: Rührei mit Maulschellen, Kräuterschnauze, Schwarzwälder Bauernschenkel, Allgäuer Keile, Bambule, Hammer auf die Murmel und – Watschen nach Wahl?

Nein, Letzteres war ein Verleser, doch ich spürte weitere verborgene Ungeheuerlichkeiten auf: Schlagsahne mit Kopfnüssen, gebratenen Leberhaken, Königsberger Kloppe, Rumpfstich, geschwollenen Camembert, Vollbrettbrötchen und, als Krönung, den Dip of Death.

Ich fragte Elke: „Kommt bei euch, wenn man schon mal im Frühstücksstraflager hockt, auch Gemetzeltes auf den Nutella?“ – „Klar“, sagte sie und lächelte maliziös, „und wem das nicht passt, der kriegt einen Teller Motzerella vor den Latz gepfeffert.“

Immer auf die Ommelette! Mit Schmackes uff die Zwiebel! Und dann auf die Käseglocke! So läuft das also neuerdings im Gallus. Hier werden Gäste durch den Kakao gezogen, abgekocht und ausgelassen, bis sie ihr Fett weghaben – Gastronomie goes Gewalt pur!

Ich bin jetzt Gulagist. Mir geht’s gut. Ich sitze an zwei großen Essays: „Tomate und Tabu“ und „Der Croissant-Kreuzzug“. Und wer wissen will, wo ich mich wann aufhalte, weiß das jetzt auch. Ich empfange durchaus Besuch, übernehme aber für nichts und niemanden Haftung.